UNTERWEGS: Heimkommen und schweigen

Wenn einer eine Reise tut, hat er viel zu erzählen – oft zu viel. Der Franzose Matthias Debureaux macht sich in seinem Buch über all jene Rückkehrer lustig, die mit ihren Berichten andere langweilen.

Diana Hagmann-Bula
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In einer Ruinenstätte Details fotografieren und daheim die Freunde damit traktieren: Manch einer schiesst bei seinen Ferienschilderungen über das Ziel hinaus. (Bild: Michael Sugrue/Getty (Teotihuacan, 1. September 2016))

In einer Ruinenstätte Details fotografieren und daheim die Freunde damit traktieren: Manch einer schiesst bei seinen Ferienschilderungen über das Ziel hinaus. (Bild: Michael Sugrue/Getty (Teotihuacan, 1. September 2016))

Diana Hagmann-Bula

diana.hagmann-bula@tagblatt.ch

Nach fünfzehn Minuten beginnt der erste in der Runde zu gähnen. Nach dreissig Minuten reibt sich der zweite die Augen und der dritte tippt Nachrichten auf seinem Handy – anstatt die Trophäen des Reisenden zu bestaunen: die Hunderten von Fotos. Sie belegen, wie er in der Ferne Land und Leuten näher gekommen ist, ein Gefühl für sie entwickelt hat. Dabei ging jenes für die Daheimgebliebenen offenbar verloren.

Jedenfalls langweilt er zu Hause nun seine Zuhörer mit massenhaft Aufnahmen der mexikanischen Tempelpyramiden, erklärt ihnen bis ins kleinste Detail die Unterschiede der Anlagen. In seiner Euphorie vergisst er, dass für die Daheimgebliebenen ein Stein bald wie der andere aussieht. Natürlich könnte das Publikum seine Langweile eingestehen. Doch wer will schon als Kulturbanause dastehen. Oder als Bünzli-Schweizer, der sich für scheinbar nichts ennet der Landesgrenze interessiert.

«In die Ausnüchterungszelle mit ihnen»

Eben solche Situationen greift Matthias Debureaux, Pariser Autor und stellvertretender Chefredaktor eines Lifestylemagazins auf. In seinem Buch «Die Kunst, andere mit seinen Reiseberichten zu langweilen», das nun in Deutsch vorliegt, macht er sich über all jene lustig, die das Reisen zu ernst nehmen. Schon der Titel verdeutlicht den ironischen Ansatz: Denn natürlich ist es nicht schwierig, sondern ganz einfach, sich nach einer Reise in den Erlebnissen zu verlieren. Und damit «anderen auf den Geist zu gehen», wie schon der französische Schauspieler Sacha Guitry (1885-1957) sagte. Debureaux selber würde Daheimgebliebene am liebsten per Spritze vor zu ausführlichen Erzählungen bewahren. «Die Reiseapotheke ist üppig bestückt, für Daheimgebliebene ist aber kein Impfstoff gegen Reiseberichte vorgesehen», schreibt er. Nur den Frauen der Matrosen, die bei Christoph Columbus anheuerten, sei es schlimmer ergangen. «Ein Leben lang mussten sie dem immer gleichen Seemannsgarn lauschen.» Für heute allzu Reisefiebrige hätte der Franzose eine radikale Lösung bereit: Sie gehörten unter Quarantäne. Oder für wenigstens einen halben Tag in die Ausnüchterungszelle gesteckt.

An manchen Stellen vermischt sich Kulturgeschichte mit Debureaux’ Abrechnung mit den modernen Globetrottern. Im 19. Jahrhundert reisten die Menschen nicht mehr, um zu entdecken, sondern um zu besichtigen. Der mündliche Bericht uferte aus, weil Vergnügungsreisen in Mode kamen. Um 1900 galt Reisen plötzlich als «primitivste Freizeitbeschäftigung überhaupt» und war «nur noch etwas für Leute ohne Fantasie». Und heute? Im Zeitalter von Social Media nützen Reisende ihren Trip, um sich zu inszenieren und von anderen abzuheben – vor allem wenn es sie nicht «nur» an den Pool eines All-Inclusive-Hotels verschlägt, sondern in den Iran oder die Innere Mongolei, wo der Weltenbummler fast der einzige Ausländer bleibt.

Stierhodenfoto zum Frühstück

Neuerdings wolle man nicht mehr als Tourist gelten, stellt Debureaux fest. Er verurteilt «die falschen Forscher, die ihre Eitelkeit offen ausleben», und stuft sie als bedrohlicher ein als richtige Touristen, die sich bedeckt halten. Bitterböse beschreibt er diese selbstgefälligen Erkunder. Als jene, die schon unterwegs eine Homepage einrichten, um das Foto eines Tellers mit Stierhoden – trotz Zeitverschiebung – just dann hochladen zu können, wenn die Bekannten daheim frühstücken. Und er gibt nicht ernst gemeinte Tipps, mit denen der Bericht «zum Meisterwerk» wird. Wer von der Savanne erzähle, solle auf die Körperpflege verzichten und seine Reisekluft auch nach der Rückkehr tragen: «Schliesslich wollen die anderen den Duft der grossen weiten Welt einatmen können.»

Ein Selfie mit dem Medizinmann

Der Reiseprofi, den Debureaux verspottet, bereist keine Landschaften, sondern Menschen. Er kehrt mit einem Selfie von sich und dem Medizinmann eines indigenen Stammes zurück. Dass die Bewohner von Robinson Crusoes Insel, dem Juan-Fernandéz-Archipel, über TV-Anschluss verfügen, verschweigt er. Er schmückt Fast-Missgeschicke aus, verheimlicht aber, dass er falschen Polizisten den Pin-Code für seine Kreditkarte gegeben hat. Statt Champagner im Viersternehotel trinkt er lokales Bier in einer Einheimischenbar. Und fragt man ihn nach dem Namen des kleinen Ortes, der sein Herz erobert hat, schweigt er sich aus – um die Einwohner «vor Massentourismus» zu schützen.

Auch wenn manche sich in vielen der amüsanten Passagen wiedererkennen: Debureaux kann ehrgeizigen Individualreisenden ihr Hobby wohl nicht ausreden. Aber nächstes Mal muss ein 15-Minuten-Bericht genügen. Ganz gemäss dem Schriftsteller Jules Renard: «Wer eine Weltreise unternimmt, kann eine Viertelstunde länger zur Konversation beitragen.» Und nicht mehr.

Matthias Debureaux: Die Kunst, andere mit seinen Reiseberichten zu langweilen, Nagel & Kimche 2017, 112 S., Fr. 17.90