Bei «Kultur im Bahnhof» sind aktuell Werke von Franziska Arnhold und Mirjam Kradolfer zu sehen. Sie zeigen unter dem Titel «Nach ihnen… vor mir» Buchcollagen und Fotografien.
Ein Buchumschlag ist eine Verheissung. Er verspricht Wissenswertes oder Unterhaltendes, Erbauliches oder Spannendes, Texte oder Bilder. Er verweist deutlich oder hintergründig auf die buchgebundenen Informationen oder Gedankenwelten. So lässt etwa die süssliche, harmlose Titelzeichnung für «Himmelchen im Internat» einen problemfreien Kinderroman der 50er-Jahre vermuten. Doch ein Blick zwischen die Buchdeckel offenbart ganz anderes: keine Buchseiten, keine Schilderungen der Irrungen und Verwirrungen in einem Internat, sondern eine Gastro-Quittung, ein Gutschein der Raststätte Heidiland, ein Rahmdeckeli, Fotos.
Franziska Arnhold überarbeitet Bücher, genauer: Sie nimmt dem Buch ihren ursprünglichen Inhalt und fügt eigene Assoziationen hinzu: «Ich weide derzeit Bücher aus und schenke ihnen neues Leben. Erst tut es ein bisschen weh, wenn ich mit dem Teppichmesser ans Werk gehe, aber dann können sie aufgeklappt und mit neuen Inhalten befüllt werden.»
Franziska Arnholds Arbeit beginnt bereits bei der Auswahl der Bücher. So werden beispielsweise auch problematische Werke nicht ausgeklammert, etwa nationalsozialistische Propagandabücher. In diesem Falle polen ihre Überarbeitungen mit farbigen Kunststoffelementen die Vorlagen um, die neuen Inhalte abstrahieren und persiflieren das Ursprüngliche. In anderen Fällen arbeiten sie die Essenz des Vorherigen heraus oder aktualisieren die Bücher. In der aktuellen Ausstellung in der Galerie von «Kultur im Bahnhof» lässt sich das allerdings nicht in jedem Falle nachverfolgen, denn die Vitrinen stehen mitunter so, dass sie nicht umrundet werden können und damit nicht alle Buchumschläge sichtbar sind.
Einige der Buchcollagen sind eigens für die Ausstellung entstanden. Es sind jene, in denen die Künstlerin aus Hannover auch Fotos ihrer selbst eingeklebt hat. Die überarbeiteten Bücher werden damit nicht nur zu rätselhaften Tagebüchern, in denen sich Realität und Fiktion mischen, sie reagieren auch ganz direkt auf die Arbeiten von Mirjam Kradolfer. Die St. Galler Künstlerin zeigt inszenierte Selbstporträts. Bereits im Sommer waren in einer Einzelausstellung in Katharinen Fotografien aus dieser Serie zu sehen. Kradolfer zitiert einmal mehr Zitate, die sich in ihrer Art des Zitierens selbst bereits auf Vorläufer beziehen.
Cindy Sherman untersuchte mit ihren Selbstporträts nach Gemälden von Holbein, Caravaggio oder Raffael Fragen nach Autorschaft, Originalität und Wertschöpfung. Kurz danach, Anfang der 1990er-Jahre, reagierte Yasumasa Morimura unmittelbar auf Shermans Fotografien. Er thematisierte in seinen Rollenwechseln nach Gemälden oder Fotografien von Stars aber eher Fragen der Geschlechts- und der kulturellen Identität und die Selbstwahrnehmung. Mirjam Kradolfer bezieht sich konkret auf Morimura und nimmt dessen Werke als Vorlage. So blicken aus van Goghs Selbstporträt mit verbundenem Ohr und Pfeife weder der holländische Künstler noch der Japaner, sondern Mirjam Kradolfer. Wie schon in ihrer Ausstellung in Katharinen drängt sich auch diesmal der Eindruck auf, dass die Künstlerin den gewählten Vorlagen wenig Eigenes hinzufügt.
Viel spannender wirken da die Fotografien mit mehrfach überblendeten Motiven, in denen steinerne Locken das verrätselte Gesicht der Künstlerin rahmen, oder jenes dichte Vegetationsbild, in dem das Grün nur so wuchert, aber im Hinter- und Vordergrund vage Andeutungen von Architektur oder einer milchigen Glasscheibe enthält. Hier wie auch in den Strumpfmaskierungen findet Mirjam Kradolfer wieder zu einer individuellen Formensprache und eigenen künstlerischen Ansätzen.
Bis 8. Januar 2012, Galerie Kultur im Bahnhof, 1. Stock