Kultur
Überraschender Abgang des Intendanten beim Argovia Philharmonic

Am 1. September 2020 wollte das Orchester mit Intendant Xoán Castiñeira in eine neue Ära starten. Jetzt hat der Spanier bereits gekündigt. Der Nachfolger ist bestimmt.

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Bei der Saisoneröffnung konnte man noch strahlen und jubeln: Jan Lisiecki und (hinten) Rune Bergman.

Bei der Saisoneröffnung konnte man noch strahlen und jubeln: Jan Lisiecki und (hinten) Rune Bergman.

Patrick Hürlimann

Kaum war Xoán Castiñeira da, ist er schon wieder weg. Hat der neue Intendant des Argovia Philharmonic silberne Löffel gestohlen? Sich mit dem Präsidenten Jürg Schärer verkracht? Nichts da: Schärer stand noch am Tag, als die Kündigung von Castiñeira eintraf, beim Spanier auf der Matte, wollte ihn überreden, im Aargau zu bleiben.

Die Kündigung gibt zu denken. Hatte nicht der abtretende Argovia-Philharmonic Intendant Christian Weidmann nach acht grossen Jahren im Frühherbst gesagt: «Es ist der dümmste Moment zu gehen»? Für ihn – für den Neuen aber der beste zu kommen: Viele Wirren waren überstanden, ein toller Chefdirigent war angetreten, ein neuer Saal steht in Aussicht.
Doch ganz so ideal war die Lage im Sommer nicht. In der (von Christian Weidmann verantworteten) Saison 2019/2020 klaffte ein finanzielles Loch. Es kam gar zu einem Liquiditätsengpass, der aber dank Geld von Argovia-Philharmonic-Freunden beseitigt werden konnte.

Castiñeira wurde klar, dass die Bäume 2021 nicht in den Himmel wachsen würden. Aber wann wuchsen sie denn je beim Argovia Philharmonic in den Himmel? Bei so geringem öffentlichen Geldzuspruch ist einiges zu erreichen, aber man kann das Argovia Philharmonic nicht mit Orchestern aus Bern, Basel oder Luzern vergleichen. Das Geld reicht für die Grundversorgung. Dass dank der sprudelnden Fantasie und enormen Energie von Künstlerintendant Weidmann in den letzten Jahren viel mehr passierte, ist grossartig. Weidmann liess das Argovia Philharmonic aber auch mal über die Verhältnisse leben.Xoán Castiñeira ist ein anderer Typ Intendant. Er wusste aber, wie klein das Budget ist, hatte die Bücher der vergangenen Jahre studiert. Offiziell begründet Castiñeira den Abgang dennoch mit seiner Erkenntnis, die finanziellen Voraussetzungen zur Erreichung der hoch gesteckten Ziele und damit die erwünschte Gestaltungsfreiheit seien nicht gegeben.

Xoán Castiñeira, Ex-Intendant des Argovia Philharmonic.

Xoán Castiñeira, Ex-Intendant des Argovia Philharmonic.

Severin Bigler / KUL

Orchesterpräsident Jürg Schärer bekennt, dass der Jahresabschluss der Saison 2019/2020 enttäuschend ausgefallen ist. Das Argovia Philharmonic wird deshalb seine Aktivitäten vorübergehend reduzieren. Soweit so schlecht.

Aber das Argovia Philharmonic hat bereits einen Nachfolger gefunden: Es ist wie 2012 ein aufstrebender Intendant. Doch der 35-jährige Simon Müller ist weiter als Christian Weidmann damals 2012. Das grössere Portfolio ist beim heutigen Standard des Aargauer Orchesters auch nötig. Müller spielt seit seinem Studienabschluss 2012 im Schweizer Klassikzirkus mit. Seit 2018 sorgt er als Intendant der Zuger Sinfonietta, einem kleinen Projektorchester, für Aufsehen.

Simon Müller, neuer Intendant des Argovia Philharmonic.

Simon Müller, neuer Intendant des Argovia Philharmonic.

zvg / Nora Nussbaumer

Schärer ist zuversichtlich: «Simon Müller hat dieses kleine Orchester weiterentwickelt. Das ist praktisch eine Ein-Mann-Organisation: Er musste metaphorisch gesagt im Konzertsaal die Stühle hinstellen und die Rechnung machen. Müller weiss, was Orchestermanagement ist. Das ist ein Riesenvorteil.»

Spätestens Ende Juni wird Müller in Aarau beginnen. Das Orchester kennt er von wenigen Konzerten, hat aber in den letzten Jahren oft gestaunt, was da in Aarau alles passiert. Mit dem Chefdirigenten ist er bereits in Kontakt: «Ich hatte diese Tage via Zoom mit Rune Bergmann gesprochen: Er ist eine offene, fröhliche, dynamische Persönlichkeit. Er hat grosse Visionen, man muss bald zusammensitzen, schauen, was man machen kann», so Müller gestern.

Xoán Castiñeira wird gemeinsam mit den Mitarbeitenden der Geschäftsstelle sicherstellen, dass die Konzerte der laufenden Saison, soweit dies die Pandemiesituation zulässt, wie gewohnt durchgeführt werden können; gleichzeitig ist er in Kontakt mit Chefdirigent Rune Bergmann daran, die künstlerische Planung der Saison 2021/2022 abzuschliessen. Im Sommer 2021 gilt es dann für Simon Müller, die Saison 22/23 zu planen. Dann werden wieder Nägel mit Köpfen gemacht.

Die nahe Zukunft des Argovia Philharmonic ist hingegen unsicher. Am 6. 12. wird ein Kammerkonzert mit Pianistin Claire Huangci gespielt. Ob aber das Weihnachtskonzert stattfindet, ist noch offen.