Trotz Hafenkran kein Mittelmeer

Ganz Zürich und die halbe Schweiz diskutieren über den rostigen Hafenkran am Limmatquai. Leider verpasst es das Kunstprojekt, auf die wirklich relevanten Probleme der grössten Schweizer Stadt hinzuweisen.

Christina Genova
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Der rostige Hafenkran stört die Zürcher Altstadtidylle weniger als erwartet. (Bild: ky/Ennio Leanza)

Der rostige Hafenkran stört die Zürcher Altstadtidylle weniger als erwartet. (Bild: ky/Ennio Leanza)

Seit zwei Wochen steht das rostige Ungetüm nun endlich im Herzen von Zürich. Der Hafenkran, über den sich die Zürcherinnen und Zürcher jahrelang gestritten haben, ist am Limmatquai angekommen. FDP und SVP versuchten, ihn mit einer Petition zu verhindern, Stadtrat Martin Waser rettete das 600 000 Franken teure Kunstprojekt, indem er für einen Fehlbetrag von 120 000 Franken mit seinem privaten Vermögen bürgte.

Filigranes Monster

Ein erster Blick auf den Hafenkran erfolgt vom Lindenhofhügel aus, während sich zu dessen Füssen der Sechseläuten-Kinderumzug vorbei wälzt. So aus luftiger Höhe wirkt das «Schrottmonster», welches die Gemüter bis heute in Wallung bringt, enttäuschend harmlos. Trotz seiner 90 Tonnen Gewicht und den 30 Metern Höhe wirkt der Kran erstaunlich filigran. Im Rostocker Hafen hat er jahrzehntelang seinen Dienst getan. Danach hat man ihn in seine Einzelteile zerlegt und per Lastwagen an die Limmat transportiert.

Überall Kräne

Der Hafenkran fügt sich erstaunlich harmonisch in die Altstadtkulisse mit dem Grossmünster ein. Das liegt möglicherweise daran, dass Kräne – Immobilienhype sei dank – in Zürich wahrlich keine Seltenheit sind. Direkt hinter dem Hafenkran befindet sich ein prächtiger roter Baukran. Dass der Hafenkran weniger als Fremdkörper auffällt, als vermutet, hat vielleicht auch mit dem Regenwetter zu tun. Der schlammgrüne, vor sich hin rostende Kran fügt sich beinahe nahtlos in die grau in graue Szenerie. Jedenfalls spricht es für das Integrationspotenzial von Zürich, dass es sich diesen Ostdeutschen derart rasch einverleibt hat.

Meeresstimmung am See

Doch wie ist Zürich zu seinem Hafenkran gekommen? Seit dort, wo er heute steht, 1962 die Fleischhalle abgebrochen wurde, stritt man sich darüber, was mit dieser Terrasse an der Limmat geschehen soll. Schliesslich lancierte 2009 die Kommission für Kunst im öffentlichen Raum einen Wettbewerb. Gewonnen hat ein vierköpfiges Künstlerteam um den Zürcher Künstler Jan Morgenthaler mit dem Projekt «Zürich Transit Maritim». Es spielt darauf an, dass die Region Zürich vor etwa 17 Millionen Jahren von einem Meer überflutet war. Mit dem Hafenkran, fünf gusseisernen Pollern entlang des Limmatquais, und einem Schiffshorn, das bei der offiziellen Eröffnung am 10. Mai in Betrieb genommen wird, soll nun etwas Meeresstimmung nach Zürich zurückgeholt werden. Vorgesehen ist, dass der Hafenkran nach neun Monaten wieder entfernt und dann verschrottet wird. Doch hält dieses Projekt was es verspricht? Dort wo der Kran steht, eingeklemmt zwischen Altstadt und Limmat, steigt der Duft der grossen weiten Welt jedenfalls nicht auf. Zu etwas mehr mediterranem Flair haben die vielen Strassencafés und die Secondos schon längst beigetragen. Vielleicht wäre der Hafenkran direkt am Zürichsee, wo der Blick in die Ferne schweift, besser aufgehoben gewesen.

Das Meer überwinden

Ist dieser Kran nun Kunst? Wenn man von ihr erwartet, dass sie zum Nachdenken und zu Diskussionen anregt und unterschiedliche Lesarten ermöglicht, dann muss man diese Frage bejahen. Ex-Bankier Konrad Hummler deutet das DDR-Relikt in der Sonntagszeitung in bester Kalter-Krieger-Manier: Es verdeutliche, wie Realsozialismus wirklich sei – «arbeiterfeindlich, rückständig, gefährlich». Die Jusos der Stadt Zürich hingegen wollen den Hafenkran am liebsten behalten und haben letzte Woche dafür eine Petition lanciert. Sie sehen ihn als als «neues mondänes Wahrzeichen» der Stadt Zürich.

Doch führt der Hafenkran zu einer Debatte über die wirklich relevanten Probleme der grössten Stadt der Schweiz? Zählt man dazu die Tatsache, dass viele Familien dort keine bezahlbare Wohnung finden, dann hätte man besser den japanischen Künstler Tadashi Kawamata eingeladen. Er hätte am Limmatquai eine Favela-Siedlung wie an der letztjährigen Art Basel errichten und dort wohnungssuchenden Familien eine vorübergehende Bleibe bieten können.

Zumindest eine Veranstaltungsreihe im Rahmenprogramm von «Zürich Transit Maritim» gibt sich dezidiert politisch und stellt einen Bezug zwischen dem Hafenkran, Zürich und der Welt her: Vom 13. bis zum 23 Juni laden unter anderem die Reformierte Kirche und Hilfswerke dazu ein, sich mit den afrikanischen Bootsflüchtlingen auseinanderzusetzen. Auf der Suche nach einem besseren Leben haben sie keine Sehnsucht nach dem Meer. Sondern sie wollen es möglichst rasch überwinden.