Tod eines Provokateurs
Mohammed-Karikaturist gestorben: Wer sich nicht totlacht, wird ausgepeitscht

Politische Kunst mit Aggressionspotenzial: Der dänische Mohammed-Karikaturist Kurt Westergaard ist im Alter von 86 Jahren gestorben.

Daniele Muscionico
Drucken
Für Kurt Westergaard war sein Kampf für Meinungs- und Religionsfreiheit auch ein Kampf gegen sein Herkunftsmilieu.

Für Kurt Westergaard war sein Kampf für Meinungs- und Religionsfreiheit auch ein Kampf gegen sein Herkunftsmilieu.

Bild: Preben Hupfeld / EPA / Keystone

Hatte er die Folgen seiner Bilder bedacht? Die Antwort bleibt für immer offen. Mit Kurt Westergaard (86) starb am 14. Juli der zeitgenössische Karikaturist, der die westliche und östliche Welt wie keiner nachhaltig erschüttert hat. Er galt als gefährlicher Provokateur genauso wie als Fackelträger für die Presse- und Meinungsfreiheit. Westergaards politische Karikaturen von Mohammed lösten 2005 weltweit gewalttätige Proteste aus und führten zum Anschlag auf die französische Satirezeitung «Charlie Hebdo».

Darf Satire alles? Ja, aber ob sie das soll?

Dass Blut fliessen würde, war klar. Als die grösste, konservative dänische Tageszeitung «Jyllands-Posten» (Jütlands Post) 2005 einen Zyklus von muslimkritischen Zeichnungen in Auftrag gab («Mohammeds Gesicht») – und Kurt Westergaard den Zuschlag erhielt –, wurde in Kauf genommen, dass Unschuldige sterben würden.

Und so war es tatsächlich. Am 30. September erschienen Westergaards Beiträge, und die islamische Welt reagierte mit antidänischen Protesten und Ausschreitungen, die Tote forderten. 2012 druckte «Charlie Hebdo» dieselben Karikaturen ab, drei Jahre später ermordeten Islamisten auf der Pariser Redaktion zwölf Menschen.

Kurt Westergaard, der vor 2005 kein Leben in der Öffentlichkeit geführt hatte und vor allem als Pädagoge wirkte, trat etwas los, was niemanden überraschte. Gewalt, die nicht mehr zu kontrollieren war. Wie soll man sie abbuchen? Kollateralschäden?

Vor seinen Mohammed-Karikaturen in «Jütlands Post» war er als Künstler und Zeichner kaum aufgefallen. Vielmehr hatte er sich als (Deutsch-)Lehrer engagiert und seinen Gerechtigkeitssinn als Pädagoge für geistig behinderte Menschen eingesetzt.

Westergaard selbst, in seiner Heimat bekannt unter dem Kampfnamen KW, verteidigte seine Arbeit für «Jyllands-Posten» stets unmissverständlich: «Ich würde es wieder genauso machen, weil ich denke, dass diese Karikaturenkrise in gewisser Weise ein Katalysator ist, der die Anpassung des Islams intensiviert», erklärte er 2008 der Agentur Reuters.

Ein Atheist, der auch ein Moralist war

Die Motivation des politischen Künstlers und erklärten Atheisten war umstandslos moralisch. Aufgewachsen in einem, wie er sagte, «fundamentalistischen» christlichen Elternhaus war sein Kampf für Meinungs- und Religionsfreiheit auch ein Kampf gegen sein Herkunftsmilieu.

Nicht die Kunst war sein Motiv, sondern Kunst war Mittel zum Zweck. Westergaard war ein Moralist und beabsichtigte Wirkung. Auch wenn er Gründe für seine Karikaturen benennen konnte, sein Tabubruch war aggressiv und säte unmittelbar Gewalt.

Die umstrittene Karikatur.

Die umstrittene Karikatur.

Kurt Westergaard

Unter den zwölf Mohammed-Karikaturen von 2005 war insbesondere eine Zeichnung umstritten: Sie zeigte den Propheten als Terroristen, in dessen Turban eine Bombe versteckt war – mit brennender Zündschnur.

Westergaard gab Mohammed aber auch die Gestalt eines älteren väterlichen Herren. Und er stellt ihn uns vor als Zerberus, der Männern im Himmel den Zugang versperrt. «Uns sind die Jungfrauen ausgegangen», begründete der freundliche Mann. Seine Karikaturen prangerten die muslimischen Geschlechterverhältnisse an und zeichneten die Frauen in der Rolle der Unterdrückten.

Künstlerisch, technisch sind die Bilder von mässiger Qualität. Doch die Art der formalen Zuspitzung ist drastisch. Sie reiht sich ein in die Überzeugung von «Charlie Hebdo», die zwischen religiösen Fundamentalisten und gemässigten Muslimen keinen Unterschied machen wollten.

Ganz der Kunst verschrieb er sich nach seinem Rücktritt als Karikaturist bei «Jyllands-Posten» im Alter von 75 Jahren. Seit einem Mordanschlag auf ihn in seinem Haus lebte er unter Polizeischutz. Dort aquarellierte und malte er, weiterhin kleinformatig, zumeist bunt, doch seine Kommentare schickten sich nun an, sich in Metaphern zu äussern. Sie lassen am Ende seines Lebens – anders als seine politischen Karikaturen – unterschiedliche Lesarten zu.

Kommerziell erzielte er damit einen enormen Erfolg. In der kurzen Zeit von kaum sieben Jahren, in denen er aufgrund seiner Krankheit künstlerisch noch aktiv sein konnte, richtete er jährlich zwei Ausstellungen aus. Er verkaufte stets alles bis auf das letzte Bild an der Wand.