Theaterspaziergang durch Trogen: Das ganze Dorf ist Bühne

Zauberhaft-poetisches Volkstheater: In Trogen suchen historische und heutige Figuren nach dem Glück. Auf dem Theaterspaziergang durchs Dorf reiht sich Überraschung an Überraschung. Die Trogener Szenografin Karin Bucher hat in liebevoller Detailarbeit überall im Dorf Installationen aufgebaut.

Julia Nehmiz
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Warum kann man das Glück nicht festhalten? Der Glücksforscher (Manuel Löwensberg, rechts) diskutiert mit Laurenz Zellweger. (Bild: Tagblatt)

Warum kann man das Glück nicht festhalten? Der Glücksforscher (Manuel Löwensberg, rechts) diskutiert mit Laurenz Zellweger. (Bild: Tagblatt)

Mit Selbstironie und Witz und falschen Ankündigungen starten sie in Trogen ihr Volkstheater, und von Anfang an ist nicht klar, was ist Theater und was nicht. Die Realitäten verwischen, verschwimmen, und die Trogenerinnen und Trogener machen das ganz zauberhaft.

Die Geschichte ihres Theaterabends «Das glückselige Leben» ist kompliziert. Da ist der Glücksforscher Hans-Peter Gstörner (federnd und voller Energie: Manuel Löwensberg), der anhand seiner zehn Maxime des Glücks herausfand: Trogen ist die glücklichste Gemeinde der Schweiz. Das soll nun mit einem Festakt im Dorf gefeiert werden.

«Glücklich ist, wer ab und zu einen Ballon aufbläst»: Die Trogenerinnen und Trogener feiern ihre glücklichste Gemeinde der Schweiz mit den Maximen des Glückforschers. (Bild: Tagblatt)

«Glücklich ist, wer ab und zu einen Ballon aufbläst»: Die Trogenerinnen und Trogener feiern ihre glücklichste Gemeinde der Schweiz mit den Maximen des Glückforschers. (Bild: Tagblatt)

Als «Wiedergänger» wehen sie durchs Dorf wie ein Hauch der Geschichte

Doch nicht alle Trogener sind mit dem verordneten Glücksgefühl einverstanden. Da gibt es die junge Frau, die nicht den Blumenladen der Mutter übernehmen, sondern nur weg will. Die Gemeindepfarrerin (kraftvoll und berührend: Rachel Braunschweig), die über den Selbstmord ihres Mannes nicht hinwegkommt. Oder Nöldi, der Aussenseiter, der fantastische Geschichtenerzähler.

Aussenseiter Nöldi (Ingo Ospelt) und Pfarrerin Ursina (Rachel Braunschweig) im Innenhof des Fünfeckpalastes. (Bild: Tagblatt)

Aussenseiter Nöldi (Ingo Ospelt) und Pfarrerin Ursina (Rachel Braunschweig) im Innenhof des Fünfeckpalastes. (Bild: Tagblatt)

Und dann sind da noch die Zellwegers, die historische Textilhandelsfamilie, die über Generationen Trogen prägte, Paläste, prächtige Häuser und die Kantonsschule baute. Als «Wiedergänger» wehen sie durchs Dorf wie ein Hauch der Geschichte. Und alle zusammen suchen sie nach ihrem Glück und erörtern, was glücklichsein ausmacht.

Zweieinhalb Jahre arbeitete das Regieteam um Initiantin Karin Bucher am Projekt «Das Glückselige Leben». Drei Autoren (Lukas Linder, Rebecca C. Schnyder und Matthias Berger) schrieben den Text nach den Ideen des Regieteams. An der Premiere am Freitag eröffneten sich Bilderreigen und Szenenflut.

Im Teich dümpelt auf einem Riesenschwan ein Nackter

Die Trogener Szenografin Karin Bucher hat das ganze Dorf verwandelt, hat Bühne und Spielturm auf den Landsgemeindeplatz gebaut, hat einen Blumenladen oder eine unwirklich tickende Zeiten-Welt in eine Garage erschaffen, und in liebevoller Detailarbeit überall im Dorf Installationen aufgebaut.

Szenografin Karin Bucher hat das ganze Dorf verwandelt: in einer Garage überrascht ein Blumenladen.

Szenografin Karin Bucher hat das ganze Dorf verwandelt: in einer Garage überrascht ein Blumenladen.

Goldene Eier schwimmen im Brunnen, Besen mit roten Bürstenköpfen klemmen zwischen zwei Häusern, in einem Teich dümpelt auf einem Riesenschwan ein Nackter (nicht ganz, er hat dann doch eine hautfarbene Unterhose an) mit VR-Brille, auf jeden Gullideckel hat sie einen Lorbeerkranz gesprayt – überall auf dem Dorfrundgang entdeckt man kleine Details. Oder meint sie zu entdecken: Die zugeknoteten Robidog-Säckchen auf der Mauer, der aufgeblasene Haifisch im Apfelbaum, der Deko-Kitsch im Blumentopf, ist das Bühne oder ist das echt?

Jung-Regisseur Hans-Christian Hasselmann, nächstes Jahr schliesst er sein Regiestudium ab, und Regisseurin Katrin Sauter haben die Szenenabfolge durchs Dorf exakt durchgetaktet. Aufgeteilt in fünf Gruppen wird das Publikum parallel durch Beizen, Gassen, Plätze geführt. Überall platzt man in Szenen, für jede Gruppe andere, bis sich alle zum Festakt auf dem Landsgemeindeplatz treffen.

Eine Überraschung reiht sich an die nächste

In diesem Dorfrundgang, dem «Theaterspaziergang durch Arkadien», wie das Stück im Untertitel heisst, reiht sich eine Überraschung an die nächste. Wer die Geschichte Trogens und der Zellweger-Familie nicht kennt, versteht nicht alles. Doch die Spielfreude der Mitwirkenden – neben den fünf Profis auch 22 Laienspieler, zwei Chöre und vier Musiker – und die Vermischung der Ebenen (schaut der Mann zufällig aus dem Fenster, oder spielt er mit?) bezaubern auch so. Der grosse Festakt zum Schluss gerät dann leider etwas lang und salbungsvoll.

Die Mitglieder des Chores als Wiedergänger aus der Vergangenheit, wandelnde Seelen. (Bild: Tagblatt)

Die Mitglieder des Chores als Wiedergänger aus der Vergangenheit, wandelnde Seelen. (Bild: Tagblatt)

Das oft bemühte Shakespeare-Zitat «die ganze Welt ist Bühne», hier wird es wahr: Ganz Trogen ist Bühne, auf der die grossen Fragen im Kleinen verhandelt werden. Theater und Realität fliessen ineinander. Das Leben ist ein Spiel.

«Das glückselige Leben», bis 14.9., Trogen, einige Vorstellungen sind bereits ausverkauft dasglueckseligeleben.ch