Mit Tatjana Gürbaca inszeniert eine der interessantesten Opernregisseurinnen und -regisseure der mittleren Generation am Opernhaus Zürich. Ihre «Aida» dürfte weit vom Elefantenpomp wegführen.
Tatjana Gürbaca ist Andreas Homokis Frau für die grossen Repertoire-Brocken und die einzige Gastregisseurin, die sowohl in der ersten, zweiten und dritten Saison der neuen Direktion am Opernhaus inszeniert. Nach «Rigoletto» letztes Jahr steht am nächsten Sonntag Verdis «Aida» auf dem Spielplan. Die 41jährige Berlinerin wurde 2013 zur «Regisseurin des Jahres» gewählt. Sie gehört aber auch zu den Namen, die genannt werden, wenn die angeblich zu radikale Regielinie der neuen Opernhausdirektion kritisiert wird. Vielleicht müssten ihre Kritiker einmal in eine Probe: Wie offen, aufmerksam und freundlich Gürbaca da mit den Solisten wie den Kinderstatisten gleichermassen arbeitet, wie aufmerksam sie als erste Zuschauerin und Zuhörerin auf die Situationen reagiert, ist eindrücklich. Rasch werden auch Resultate sichtbar. Dieselbe Freundlichkeit und Offenheit vermittelt Tatjana Gürbaca auch im Interview.
Frau Gürbaca, wie gehen Sie an eine Oper wie Verdis «Aida» heran, von der fast alle ein festes Bild haben?
Tatjana Gürbaca: Ausgangspunkt ist immer die Musik. Ich spiele viel aus dem Klavierauszug. Die Kunst ist dann, die richtigen Fragen an das Werk zu stellen. Das ist meine Regieaufgabe, die Antworten suchen wir dann in den Proben gemeinsam.
Man hört immer wieder, die Anforderungen an Opernsänger seien massiv gestiegen. Wie würden Sie Singen, Spielen und Aussehen «Ihrer» Sänger gewichten?
Gürbaca: Das ist mal 'ne Frage… Das Singen setze ich einfach voraus, das ist eine Grundvoraussetzung. Dazu brauchen sie eine spezifische szenische Phantasie, um aus meiner Spielvorlage eine Figur entwickeln zu können. Daraus entsteht Expressivität.
Expressivität im Vokalen?
Gürbaca: …im Vokalen und Szenischen. Das heisst, sich in eine Rolle hineinzudenken, sie sich anzueignen. Ich bin vor Probenbeginn immer sehr neugierig, was mich für Besetzungen erwarten. Im nachhinein wirkt gerade das Unerwartete oft erfrischend.
Das klingt jetzt, als würden Sie einfach mal auf die Proben kommen und schauen, was so kommt…
Gürbaca: (Lacht) Ich bin sehr gut vorbereitet, glauben Sie mir! Ich überlege mir zu jeder Szene quasi eine Überschrift, wozu die Szene innerhalb des Werkes dient. Ich weiss sehr genau, was ich erzählen will. Aber ich weiss am Anfang noch nicht, wie wir dahin kommen. Man kann noch so viel Papier mitbringen: Ohne Beobachtung in den Proben und dann im richtigen Moment zuzupacken, geht nichts! Figuren schlummern in den Darstellern, ich kann Spielangebote machen, aber herauskommen müssen sie dann selbst. Die Sänger müssen verstehen, was sie tun – oder sogar lieben und umarmen!
Als Sie in Zürich «Rigoletto» probten, hatten Sie anscheinend öfter Schulklassen in Ihren Proben.
Gürbaca: Das war ganz neu und irritierend, gerade in den Probebühnen sassen die hautnah. Mit den ersten gesungenen Tönen wurde es ganz ruhig, und es entstand eine ganz andere Situation. Die Besetzung merkte plötzlich ganz anders, worum es im Stück eigentlich geht: um dieselben Probleme, die diese Jugendlichen da beschäftigen.
Aber warum hat die Oper Mühe, Junge zu erreichen?
Gürbaca: Am Ding an sich liegt's nicht! Eigentlich sind Jugendliche recht leicht zu begeistern, wenn man sie einmal an die Sache heranführt. Ich sehe das Problem eher bei den 25- bis 40-Jährigen. Das ist die Generation, die «Herr der Ringe» und Fernsehserien am Stück rein-zieht – die sind dann länger als jeder Wagner… Vielleicht müssen wir Opernleute noch klarer machen: In die Oper kann man ganz einfach hineingehen, man muss nicht viel wissen, braucht sich nicht speziell anzuziehen.
Was interessiert Sie an «Aida»?
Gürbaca: Wenn man «Aida» hört, denkt man an diese grossen Chöre und Tableaus. Dabei sind die laut Partitur meist gar nicht auf, sondern hinter der Bühne. Sind diese Aufmärsche weg, bleibt ein Kammerspiel von fünf Personen.
Die Aida-Inszenierungen, die ich bisher sah, sind eigentlich alle im zweiten Teil gescheitert, wussten nicht mehr recht, was sie hier anfangen sollen.
Gürbaca: Da wird das Stück doch Ibsen-artig! In «Aida» wird eine junge Generation von der alten Generation verbrannt! Schaut man einmal auf eine Karte, stellt man fest, dass es ein verdammt langer Weg ist von Ägypten nach Äthiopien. Ramfis verspricht Radames etwas, was dieser überhaupt nicht einschätzen kann, und wie ein Kind jubelt er «ich darf, ich darf». Zentral ist dabei die Heimatfrage. Was ist eigentlich mit den Leuten passiert, die aus dem Krieg zurückkehren? Müssen die der Heimat dankbar sein? Was ist Heimat eigentlich für Aida? Sie scheint gut integriert in Ägypten, wie lange ist sie schon da? Definiert erst der Krieg sie als Fremde, oder tut sie das selber?
Das sind politische Grundsatzfragen.
Gürbaca: Absolut. Und es ist das typische Verdi-Thema: Wie viel Privates muss ich der Politik opfern?
Allerdings gehen die Ansichten, was Oper ist und was sie sein soll, bisweilen weit auseinander. Sie wurden hier auch als Schreckgespenst betrachtet: als Vertreterin des «Regietheaters».
Gürbaca: Man kann als Regisseurin nicht allen gefallen. Ich tue das, woran ich glaube. Natürlich versuche ich dabei, das Publikum zu einer Art Komplize unserer Sicht zu machen.
Bei «Rigoletto», den sie als brutale Männergesellschaft zeigten, tat diese Komplizenschaft beim Zuschauen fast weh…
Gürbaca: Aber ja! Theater soll aufrütteln, soll wehtun!