Theater – bemüht, grandios

Beim Berliner Theatertreffen stellt sich das deutschsprachige Theater selber ins Rampenlicht. Das Theater Basel und das Schauspielhaus Zürich spielten auch dieses Jahr wieder mit.

Tobias Gerosa
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Tolles Schauspiel-Theater: Ibsens «John Gabriel Borkman» in einer Inszenierung des Theaters Basel. (Bild: Reinhard Maximilian Werner)

Tolles Schauspiel-Theater: Ibsens «John Gabriel Borkman» in einer Inszenierung des Theaters Basel. (Bild: Reinhard Maximilian Werner)

Was sind die zehn besten Theateraufführungen aus dem deutschsprachigen Raum? Eine kaum zu lösende Aufgabe zwischen Biel und Klagenfurt, Hamburg und Bautzen. Nützt es etwas, stattdessen die zehn «bemerkenswertesten» zu suchen? Die Aufgabe wird nicht einfacher und jede Lösung wird kritisiert, vor allem von den Nicht-Eingeladenen. Trotzdem ist es das, was die Jury des Theatertreffens, darunter traditionell jemand aus der Schweiz, jährlich macht. Seit nunmehr 53 Jahren wird die Auswahl Anfang Mai in Berlin gezeigt. Ursprünglich gegründet, um das eingeschlossene West-Berlin kulturell mit dem Rest des Westens zu verbinden, ist eine Einladung zum Theatertreffen heute ein Ritterschlag für Regisseure und Theaterhäuser.

Mehrfach gespielte Stücke

So versammelten sich zur Eröffnung vorletztes Wochenende denn auch alle in Berlin: Kulturpolitiker, Intendanten, Theaterleute und Kritiker. Und klar betonen alle die Bedeutung der einzigartigen Theatersituation des deutschsprachigen Raumes. Die meisten Stücke werden zwei- oder mehrmals gezeigt, da gibt es dann auch Plätze fürs normale Publikum. Ob die diesjährige Eröffnungsproduktion dort dann besser ankam? Das Deutsche Schauspielhaus Hamburg zeigte da «Das Schiff der Träume». Der Rahmen um das «Haus der Berliner Festspiele» mit seinem 60er-Jahre-BRD-Charme im zentralen, ruhigen Wilmersdorf war perfekt: Blühende Kastanien, das milde Maiwetter passte, um die Gartenbar nutzen zu könne.

Guter Wille, schlechtes Theater

Die Eröffnungsaufführung glich dann allerdings einer kalten Dusche und beförderte alle Kritik an den Einladungen. Karin Beiers Inszenierung nimmt Fellinis Film «E la nave va» als Ausgangspunkt. Einen halben Abend lang marthalert das Ensemble unterforderter Schauspieler herum, dann der Bruch: Das Kreuzfahrtschiff muss afrikanische Flüchtlinge retten. Ein paar junge Männer kommen an Bord – und erfüllen bald alle Klischees. Da hat der gute Wille die diskursive Funktion des Theaters weggefegt. «Bemerkenswert» und Grund, damit das Festival zu eröffnen, ist daran höchstens der Selbstanspruch, dass sich das Theater in die aktuellen Debatten einmischen soll.

Das tat auch die aktualisierte und ins Internet-Zeitalter übertragene Version des «Volksfeindes» von Henrik Ibsen aus dem Schauspielhaus Zürich, die in den Medien mittelmässig aufgenommen wurde. Mehr Pro und Contra gibt es hingegen bei den grossartigen Schauspieler-Theaterstücken: Sowohl bei «Väter und Söhne», der vierstündigen Adaption des Turgenjew-Romans aus dem Deutschen Theater Berlin, wie auch bei der Ibsen-Überschreibung «John Gabriel Borkman» aus dem Theater Basel, zusammen mit dem Wiener Burgtheater. Letztere wurde, im Gegensatz zum Eröffnungsabend, gefeiert.

Grandiose Schauspieler

In Daniela Löffners sensiblem Turgenjew-Abend sitzt das Publikum (vielleicht 200 Leute für ein dreizehnköpfiges Ensemble!) auf allen vier Seiten um die Bühne herum. Wer vom Ensemble grade nicht spielt, setzt sich dazu. Man rückt so ganz nah an die Gesellschaft heran, die in typisch russischer Weise redet, trinkt, liebt und verzweifelt. Gespielt wird hervorragend, das Theater ist hier ganz bei sich selbst, seinen besten Mitteln und seiner Unmittelbarkeit. Provokativer und ranschmeisserischer ist Simon Stones Borkman-Inszenierung in ihrem zweistündigen Dauerschneefall. Sie lebt von der an TV-Serien erinnernden Neufassung des Regisseurs, die von einem unglaublich starken Trio getragen wird: Caroline Conrad, Birgit Minichmayr und Martin Wuttke spielten in Berlin noch entfesselter – wohl auch, weil es akustisch einfacher ging als im Basler Theater.

Mit zwei von zehn Produktionen war die Schweiz beim Berliner Theatertreffen gut vertreten. In zwei Wochen folgt das Schweizer Theatertreffen in Genf. Die Diskussionen über die Auswahl lassen sich dort weiterführen. Das Schaufenster und die Beachtung des Berliner Theatertreffens kann sich das Schweizer Theater dafür nur wünschen – ein Klassentreffen ist dafür sicher ein guter Beginn. Und die Konzentration auf ein Wochenende macht es anders als in Berlin auch einfacher möglich, die ganze Auswahl zu sehen.