Theater Basel
«Moby Dick» wird zu einem furios bewegten Schlachtgemälde mit Blut, Wasser und Walfett

Das Theater Basel beeindruckt und verirrt sich mit einer actiongeladenen Bühnenfassung von Herman Melvilles Roman «Moby Dick».

Dominique Spirgi
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«Moby Dick» wird im Theater Basel zu einem grossen Furioso.

«Moby Dick» wird im Theater Basel zu einem grossen Furioso.

zvg/ Ingo Hoehn

Nach knapp zwei Stunden kommt es zum grossen Showdown: Der grosse weisse Pottwal, den der amerikanische Schriftsteller Herman Melville in «Moby Dick» zu einer der bekanntesten Roman-«Figuren» der Weltliteratur gemacht hat, zerschmettert das Walfängerschiff, tötet mit Ausnahme eines Mannes die ganze Mannschaft.

Auf der Grossen Bühne des Theater Basel wird dieser Moment mit einem grossen Furioso aus Wasser, wuchtigem Sound, Nebel und Licht nachgezeichnet. Der einzige Überlebende – Ismael heisst er im Roman – kann sich rücklings auf allen vieren in den Bühnenhintergrund retten. Er ist ganz klein und geschlagen.

Pohl kämpft sich durch Stürme und zwischenmenschliche Konflikte

Dieser Ismael, der in der Romanvorlage als Ich-Erzähler das wilde Geschehen nacherzählt, wird von Jürg Pohl gespielt. Der Schauspieler im Leitungsteam des Basler Schauspiels ist aber weit mehr als nur dieser Erzähler. Er springt als Solist auf der Grossen Bühne in die Rolle des Kapitäns Ahab, der dem Selbst- und alles andere zerstörerischen Rache-Wahn verfallen ist, den weissen Wahl zu töten. Er spielt die Harpunisten und Bootsleute, die auf ihr Verderben zusegeln.

Pohl kämpft sich durch Stürme und die zwischenmenschlichen Konflikte, legt sich in die Riemen der Beiboote, schlachtet einen Wal nach dem anderen ab. Die Boote, die Tiere und alles andere muss man sich dabei vorstellen. Zu Hilfe nehmen kann der Multi-Protagonist auf der weiten leeren Bühne lediglich Spritzflaschen mit Wasser oder Blut (das er ab und zu auch aus vollen Kesseln über sich leert) eine Wind- und eine Nebelmaschine.

Es ist beeindruckend, welche Energie der Solist dabei an den Tag legt. Ruhige Momente gönnt ihm die Inszenierung von Antú Romero Nunes – der Regisseur im Leitungsteam – nicht oder nur ganz zu Beginn. Nunes hat den Stoff von seiner früheren Wirkungsstätte, dem Hamburger Thalia Theater, mit nach Basel genommen. Dort hatte er allerdings ein achtköpfiges Ensemble auf der Bühne, das er nun auf eine Person eingedampft hat. Von einer Übernahme kann also nicht wirklich die Rede sein.

Der gesamte Theaterabend ist ein einziger Actionmoment

Der Regisseur stellt hier einmal mehr sein Faible für die grossen Stoffe der Weltliteratur unter Beweis. Die Spielzeit, die dann ja mit der Coronakrise unterbrochen werden musste, hatte er Ovids «Metamorphosen» eingeläutet. Später kam Homers «Odyssee» hinzu. Und jetzt also «Moby Dick».

Melvilles Roman ist sehr viel mehr als eine Abenteuergeschichte. Es ist eine zwar actiongeladene, aber überaus tiefsinnige literarisch-philosophische Abhandlung über den Drang und die Gier des Menschen, die Welt, die Natur zu unterjochen und dabei auf die Selbstzerstörung hinzuschlittern. Ahab, der im Roman zeilenmässig eigentlich gar nicht so viel Platz hat, ist die Inkarnation, der Auswuchs dieses bösen Prinzips.

Nunes und mit ihm der Schauspieler Pohl zeigen vor allem, wie effektvoll und mit wenigen Mitteln grosse Actionszenen auf die Bühne geschmettert werden können. Obwohl: Hier von Actionmomenten zu sprechen, trifft nicht ganz zu. Denn eigentlich ist beinahe der gesamte Theaterabend ein einziger Actionmoment. Der Protagonist tobt, brüllt, spritzt während der zwei Stunden in einem fort, spielt gegen Tod und Teufel an. Nur ab und zu gönnte er sich sowie den Zuschauerinnen und Zuschauern ironische Kalauereinschübe, die aber nicht so richtig zum Gesamtgeschehen passen wollen.

Dieses Dauerfurioso ist denn aber, so packend es auch ist, ein Makel des Abends. Es wird nicht so richtig klar, welche Geschichte oder Geschichten Nunes und Pohl erzählen wollen. Natürlich werden die ganzen Actionszenen in der Romanvorlage ausführlich beschrieben. Aber der innere Kampf und Krampf der Romanfiguren, der stetig schwelende und verzehrende Hass von Ahab auf den weissen Wal, die Ängste und die Verzweiflung der Mannschaft gehen im Action-Furioso weitgehend unter. Es ist ein «rauschhaftes Spektakel», wie das Theater zurecht ankündigt. Aber eben nicht viel mehr.