Am zweiten Weihnachtsfeiertag zeigt Kommissarin Lena Odenthal Mut und Herz. Ganz grosse Gefühle gibt es zu Neujahr in Weimar.
Ein «Tatort» aus Ludwigshafen, wenn Weihnachten sich langsam dem Ende neigt, und einer aus Weimar, wenn das neue Jahr gerade ein paar Stunden alt ist. Wobei Lena Odenthal (Ulrike Folkerts) das alte «Tatort»-Jahr gewohnt routiniert und solide ausgehen lässt, und Dorn (Nora Tschirner) und Lessing (Christian Ulmen) das neue «Tatort»-Jahr mit einem Paukenschlag beginnen, der aber erst im letzten Drittel des Films einsetzt und sämtliche Emotionen, auch die des Zuschauers, durchrüttelt.
So viel Gefühl ist man aus Weimar überhaupt nicht gewohnt – weil es aber sehr subtil vermittelt wird, sowohl von der Regie (Mira Thiel) als auch von den Darstellern Nora Tschirner und Christian Ulmen, ist dieser «Tatort» aus der Goethe-Stadt ein echter Gewinn. Und eine echte Überraschung.
«Der feine Geist» stammt aus der Feder von Murmel Clausen und Mira Thiel (Mitarbeit). Einen ganz besonderen Input gab Christian Ulmen – was seine eigene Figur betrifft. Mehr sei hier nicht verraten. Nur noch, dass im kommenden Jahr kein «Tatort» aus Weimar produziert wird, weil laut MDR-Pressestelle aufgrund coronabedingter Drehverschiebungen kein gemeinsamer Drehtermin für das Ensemble ermöglicht werden kann. Und dass der MDR die Reaktionen auf diese spezielle Folge abwarten möchte, um dann zu entscheiden, wie man «das Format weiterentwickelt».
Dass in Weimar irgendetwas Neues ansteht, merkt der aufmerksame Zuschauer schon daran, dass zum ersten Mal der «Zwerg», der kleine Sohn der Kommissare Dorn und Lessing, leibhaftig zu sehen ist, schön gespielt von Jona Truschkowski. Und daran, dass Lessing plötzlich Nietzsche zitiert: «Glauben heisst, nicht wissen wollen, was wahr ist.» Ebenso stutzig macht, dass der Ring von Lessing am Finger von Dorn zum Thema wird: Der sei «Weissgold mit Diamanten», so erfährt Kira Dorn von der Besitzerin des Juweliergeschäfts, vor welchem ein Geldbote erschossen wurde.
Dorn wird später zu Lessing sagen: «Ich dachte, Silber mit Irgendwas...» Nora Tschirner und Christian Ulmen agieren so stoisch-unaufgeregt wie immer, trotzdem ist etwas anders. Ulmen kommt eine Nuance zärtlicher rüber und Tschirner eine Nuance ernster. Was eine erstaunliche Wirkung hat und dem «Tatort» Weimar, den man lieben oder hassen kann, eine neue Qualität gibt. Allein das Intro ist ästhetisch top: Ein Projektil fliegt und fliegt, Dorn hebt sich vor einem kahlen Baum ab, und Schneeflocken taumeln. Dem Titel der Folge passt sich der Titel des für ihn geschriebenen Songs an: «In the Between. Der feine Geist», von Dürbeck & Dohmen, gesungen von Insa Rudolph.
Man wird diese Folge nicht so schnell vergessen. Gut gemacht ist ebenfalls der Lena-Odenthal-«Tatort» «Unter Wölfen», der am zweiten Weihnachtsfeiertag gezeigt wird. Eine Überraschung bleibt hier aber aus. Lena Odenthal agiert als Kommissarin so mutig und zielsicher wie stets. Und auch dass sie sich in diesem Fall – geschrieben und gedreht von Tom Bohn – souverän und liebevoll eines kleinen Mädchens (klasse in ihrer Rolle: Lucy Loona) annimmt, hat man ihr völlig zugetraut. Besonders ist die Folge dennoch: Der 72. Lena-Odenthal-«Tatort» nimmt private Securityfirmen und den Personalmangel bei der Polizei in den Blick, und er tut das in klassischer Western-Manier. Odenthals Gegenspieler ist ein Security-Platzhirsch namens Arentzen – Thure Riefenstein ist die perfekte Wahl für diesen Part.
Lena-Odenthal-«Tatort» aus Ludwigshafen: «Unter Wölfen». Samstag, 26. Dezember 2020, 20.10 Uhr, SRF 1.
«Tatort» aus Weimar: «Der feine Geist». Freitag, 1. Januar 2021, 20.10 Uhr, SRF 2.