Tatort Schauspielhaus: «Ihr Mann ist zersägt worden, gestern Morgen um 5»

Regie-Berserker Herbert Fritsch macht auf Krimi. Am Zürcher Schauspielhaus demontiert er mit «Totart Tatort» sämtliche Klischees des Kriminalgenres in Film und Fernsehen.

Julia Nehmiz
Drucken
Ermittler tragen Trenchcoat, Hut und schmauchen Pfeife: Herbert Fritsch dekonstruiert in «Totart Tatort» sämtliche Krimiklischees. (Bild: Tanja Dorendorf)

Ermittler tragen Trenchcoat, Hut und schmauchen Pfeife: Herbert Fritsch dekonstruiert in «Totart Tatort» sämtliche Krimiklischees. (Bild: Tanja Dorendorf)

Dadaaaa, dadaaaa – fast wähnt man sich vor dem Fernseher: die typische Tatort-Auftakt-Fanfare ertönt im Schauspielhaus. Eine Frau mit blonder Mähne und schwarzen Handschuhen schiebt sich hinten auf der Bühne in die Türöffnung. Lasziv schildert sie den klassischen TV-Tatort-Vorspann: Wie blaue Augen nach links und rechts schauen, ein Fadenkreuz sich über die Pupille schiebt, Füsse über Asphalt rennen. Und schon sind wir mitten in einer absurden Handlung eines Sonntagskrimis, irgendwas mit Luka Modrić, Franck Ribéry, Helene Fischer und Florian Silbereisen. Da erscheint ein Mann mit Hut und Trenchcoat und erwürgt die Blondine.

Es werden noch viele weitere Leichen folgen. Die zehn Schauspielerinnen und Schauspieler lassen sich komödiantisch erschiessen, führen eine Art Ballett der Ermittlerhandschuhe auf, eine Polonaise des Schreckens, auferstehen zu einem Zombiechor, spritzen kunstvoll Theaterblut in ihre Plastiküberzieher.

Wo ist das Beweisstück? Das Zürcher Ensemble treibt die Ästhetisierung und Banalisierung von Mord und Totschlag im TV auf die Spitze. (Bild: Tanja Dorendorf)

Wo ist das Beweisstück? Das Zürcher Ensemble treibt die Ästhetisierung und Banalisierung von Mord und Totschlag im TV auf die Spitze. (Bild: Tanja Dorendorf)

Der preisgekrönte Regisseur Herbert Fritsch hat sich für das Zürcher Schauspielhaus nach seinem schrillen und tiefsinnig bösen Abend «Grimmige Märchen» (Uraufführung 2017) nun den «Tatort» vorgenommen, die langlebigste und beliebteste TV-Krimireihe im deutschsprachigen Raum. Er sehe ein Problem für die Kunst insgesamt, sagte Fritsch in einem Interview vorab. Die Kunst schlittere ins Tatortformat.

Glatte Oberfläche, mehrfach gespiegelt

In «Totart Tatort» entlarvt Herbert Fritsch lustvoll sämtliche zeitlosen Krimiklischees. Die Männer tragen Hut und Trenchcoat, die Frauen Strumpfnaht zu kurzen Röcken und ondulierte Frisuren. Es fallen nicht viele Worte, und wenn, dann sind sie eine Partitur aus Krimi-Zitaten oder hanebüchenen Tatbeschreibungen. «Dürfen wir kurz mal reinkommen?», «Die Putzfrau hat ihn um 10.15 Uhr gefunden», «Ihr Mann ist zersägt worden, gestern Morgen gegen 5».

Auf die Pfauenbühne hat Herbert Fritsch einen grossen Fernsehkasten gebaut, Wände und Decken verengen sich bis zur Lichtöffnung hinten. Fritsch und sein grossartiges Ensemble (funfact: TV-Tatort-Ermittler Wolfram Koch spielt auch mal einen Mörder) treiben die Ästhetisierung und Banalisierung von Mord und Totschlag in einer Art Nummernrevue auf die Spitze. Sie kreischen in höchsten Tönen, erschrecken sich kollektiv, lassen chorisch Gummihandschuhe schnalzen. Ingo Günther untermalt das Geschehen mit einem Horror-Soundtrack.

Wohin nur mit all den Leichen? Wolfram Koch gerät in «Totart Tatort» in Not. (Bild: Tanja Dorendorf)

Wohin nur mit all den Leichen? Wolfram Koch gerät in «Totart Tatort» in Not. (Bild: Tanja Dorendorf)

Das ist artifiziell, absurd, unterhaltsam, durchchoreografiert bis in die Applausordnung. Doch nicht jede Nummer zündet, manches wird ermüdend ausgebreitet. Es bleibt glatte Oberfläche, mehrfach gespiegelt in den mattscheibenblauen Hochglanzwänden.

Mehr zum Thema