Die Akustik in der Tonhalle war unbefriedigend. Nachhall oder auch Echo- und Verstärkungseffekte hörte nicht nur das Publikum, sie beeinträchtigten auch die Musiker. Mit scheinbar «einfachen» Mitteln wurde nun eine Lösung gefunden. Aber der Weg dahin war komplex.
In der Tonhalle wird seit Tagen intensiv gehämmert und gesägt. Freilich nicht auf Instrumenten, sondern an der Innensanierung. Das Ziel ist eine Tonhalle, die so gut tönt wie nie zuvor. Die Verantwortlichen des Projektes zur Verbesserung der Tonhallenakustik sind sich «ziemlich sicher», dass dies gelingen wird: Die Sanierung werde ein «optischer Meilenstein» und bringe akustisch «eine deutliche Verbesserung».
Dass die Akustik der Tonhalle zu wünschen übrigliess, ist bekannt. Die Gründe dafür sind komplex. Eine Ursache lässt sich auf den Bau von 1909 zurückführen: Um Geld zu sparen wurde der Saal nicht so hoch gebaut, wie es seine Grösse verlangt hätte. «Die Tonhalle hat zu wenig Volumen», sagt Konzertdirektor Florian Scheiber. Deswegen erfolge der Rückhall zu schnell, der Ton überschlage sich, und das Klangbild wirke eng. «Das nimmt vor allem auch das Publikum wahr.»
Ein weiteres akustisches Manko trifft vor allem die Musiker. Als man vor gut 18 Jahren die Tonhalle sanierte, wurde die Bühne vergrössert. Bei grossen Orchestern sass seither nur ein Teil unter der denkmalgeschützten Halbkuppel, womit es zwei «akustische Klimata» gab, wie der Konzertdirektor ausführt: die Streicher unter der Saaldecke, die Holz- und Blechbläser unter der Kuppel.
Die Bläser hörten sich darunter selber zeitverzögert und verstärkt; dies teils so laut, dass Lärmschutz-Grenzwerte erreicht wurden. Die Streicher hingegen waren für die Bläser kaum mehr zu hören.
Eine Arbeitsgruppe mit Konzertdirektor, Architekten und Akustikern sowie Stadtbaumeister Erol Doguoglu ortete sämtliche Problemquellen, wie die erwähnten Echo- und Verstärkungseffekte; sie steckten die Rahmenbedingungen für einen Studienauftrag ab, der eine Verbesserung der Akustik erreichen wollte.
Diesen Wettbewerb gewann das Team Bosshard Vaquer Architekten aus Zürich mit dem Akustikbüro Arau Acustica aus Barcelona. Ihre «geniale Lösung», so der Stadtbaumeister, beschränkt sich auf einen Einbau, der das Saal-ambiente nicht zerstört: eine Konstruktion aus quadratischen, rechtwinklig angeordneten Holztafeln über dem Orchester. Dieser sogenannte Defraktor sieht aus wie ein Mobile, es handelt sich aber um fixe Platten.
Auch die visuelle Leichtigkeit des rund 10 × 12 Meter grossen Gebildes täuscht: es wiegt gut zweieinhalb Tonnen. Die Wirkung der Tafeln klingt simpel: Der Klang wird durch die Platten diffuser und es werden unangenehme Fokussierungen verhindert; das ergibt ein harmonisches, ausgeglichenes Klangbild. Auch die Nachhallzeit wird positiv beeinflusst.
Freilich, was so einfach klingt, erfordert aufwendige Berechnungen. «Ein Sinfonieorchester ist die anspruchsvollste und komplexeste Klangquelle», betont der Konzertdirektor. Es sei ein sehr spannender, anspruchsvoller Prozess gewesen, weil «es unglaublich schwierig ist, ein Naturphänomen zu erklären», ergänzt der Stadtbaumeister. Während sechs Wochen seien am Computer Berechnungen mit Modellen erstellt worden, wie die Tafeln angeordnet werden müssen.
Doch errechnen lassen sich immer nur einzelne Aspekte. Der Gesamteindruck des Klangbilds und der tatsächliche Effekt ist nur im Saal zu hören. Darum wollte man die Wirkung eines Defraktors gerne in der Praxis erleben. Akustiker Higini Arau schlug einen Proberaum in Barcelona vor, den er nach dem gleichen Prinzip verändert hatte. Mit zwei Musikern sind die St. Galler nach Barcelona gefahren. «Es war atemberaubend», beschreibt Florian Scheiber das Hörerlebnis.
«Es war ein kleiner Raum ohne Bühne und ich weiss, wie Musik in so einem Saal normalerweise klingen müsste. Aber dieser Raum wirkte akustisch drei bis viermal grösser.»
Der Defraktor ist nicht die einzige Massnahme zur Verbesserung der Tonhallenakustik. Auch das Orchesterpodium wird vergrössert. «Die neue Bühne reicht einen Meter tiefer in den Saal hinein. Dafür haben wir die erste Sitzreihe geopfert», sagt Scheiber. Zudem werden die gesamte Bühne sowie die vier Podeststufen tiefer angelegt.
Damit gewinnt man zum einen Raumvolumen, zum andern sitzt das Publikum dadurch optisch näher beim Orchester. Um die flachere Bühne wird ausserdem den Wänden entlang eine geometrische, dreidimensionale Verkleidung angebracht, die den Klang ebenfalls besser streuen und die Nachhallzeit optimieren soll.
Dass die über der Bühne hängende Plattenkonstruktion nicht nur funktional, sondern auch ästhetisch überzeugt, war für Stadtbaumeister Erol Doguoglu ein wichtiges Kriterium.
In die mit Blattgold verkleideten Platten ist eine Lichtquelle integriert, was das tontechnische Objekt zu einem attraktiven Lichtkörper mit einer «warmen, ausserordentlich schönen» Ausstrahlung mache. Dass solch ästhetischen Aspekte viel mit einer Hörpsychologie zu tun haben, davon ist Doguoglu überzeugt: Die harmonische Aura eines Raumes hänge auch mit dessen optischer Wahrnehmung zusammen.
Ihre Reifeprüfung erlebt die neue Tonhalle am 23. September mit Gustav Mahlers 3. Sinfonie. Beim Eröffnungskonzert mit dem programmatischen Titel «Neuer Klang!» wird der Saal erstmals besetzt sein und sich zeigen, ob die Massnahmen die erhoffte hörbare Wirkung voll entfalten.