Sterben – und doch hoffen

Der britisch-amerikanische Schriftsteller und Journalist Christopher Hitchens beschreibt, wie er ganz plötzlich schwer krank wird und sich zum Sterben verurteilt sieht – und wie seine Umwelt darauf reagiert.

Rolf App
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ERSCHEINUNGSDATUM: 07.03.2003-sw-FF / Kreuzlingen TG - KREUZLINGEN VOM KIRCHTURM AUS - FRIEDHOF © SUSANN BASLER / TZ 20.08.2002

ERSCHEINUNGSDATUM: 07.03.2003-sw-FF / Kreuzlingen TG - KREUZLINGEN VOM KIRCHTURM AUS - FRIEDHOF © SUSANN BASLER / TZ 20.08.2002

Nachdem Christopher Hitchens seine lebensbedrohliche Krebsdiagnose bekommen hat, erreichen ihn zahlreiche Gebete und Verwünschungen. Beides verwundert ihn nicht. Denn der scharfzüngige Schriftsteller und Journalist hat sich viele Feinde gemacht zeit seines Lebens, das auf einer Lesereise im Jahr 2010 ins Schlingern gerät – und am 15. Dezember 2011 sein Ende findet. Hitchens beschreibt diese Bahn eindrücklich-schmerzhaft in seinem letzten Buch mit dem Titel «Endlich. Mein Sterben», aber immer auch wieder mit feinem bis sarkastischem Humor. Was heisst Sterben? Hitchens gibt eine von vielen möglichen Antworten. Es ist die Antwort eines überzeugten Atheisten.

Ein düsterer Morgen im Hotel

«Auf dem Podium war mein Mann eine Nummer, nach der man eigentlich nicht mehr auftreten wollte», schreibt seine Frau Carol Blue im Nachwort. Und der Schriftsteller Peter Schneider berichtet von einer Gedenkveranstaltung für den Amerikaner mit britischem Pass, die «eine Manifestation jenes freien, witzigen und libertären Amerika» gewesen sei, «das man in den Jahren der G.-W.-Bush-Ära zu vermissen gelernt hatte».

Mit wachem Blick beobachtet und kommentiert Hitchens seine Zeit, er ist viel unterwegs – auch an jenem Julimorgen, als er in einem New Yorker Hotel erwacht und das Gefühl hat, dass «die Höhlung von Brust und Thorax leergeschabt und mit langsam hart werdendem Zement ausgegossen» sei. «Ich konnte mich schwach atmen hören, doch es gelang mir nicht, meine Lunge zu füllen.»

Ein Schatten ist da

Es ist eine gewaltige Anstrengung, den Notdienst zu rufen, das Spital entlässt ihn nach einigen Sofortmassnahmen – und rät ihm, als Nächstes einen Onkologen aufzusuchen. «Ein Schatten lagerte auf den Röntgenbildern.» Das Wort «metastasiert» ist das erste, an dem sein Auge hängen bleibt, als er nach dieser Untersuchung Bericht erhält. «Der Alien hatte einen Teil meiner Lunge sowie eine beträchtliche Partie meines Lymphknotens kolonisiert.» Der Ursprung aber liegt in der Speiseröhre. Hitchens erinnert sich: «Mein Vater war – sehr rasch – an Speiseröhrenkrebs gestorben. Da war er neunundsiebzig. Ich bin einundsechzig.»

Wie reagieren?

Zorn wäre unangemessen, das spürt Christopher Hitchens. Auch das Wort vom Kampf gegen den Krebs, das in Ratschlägen wie in Nachrufen immer wiederkehrt, ist ihm suspekt. «Man hört so etwas nicht bei Menschen, die lange an einer Herzkrankheit oder an Nierenversagen gelitten haben.» Und obwohl er weiss, dass der Krebs gegen ihn kämpft und nicht umgekehrt, liebt Christopher Hitchens die Metaphorik des Kampfes. Fragt er sich, warum gerade er Krebs bekommen hat? Nein. Denn: «Auf die dumme Frage: <Warum ich?> gibt das Weltall sich kaum die Mühe, auch nur <Warum denn nicht?> zu antworten.»

Verwünschungen, Gebete

Eine Antwort gibt nicht das Weltall. Eine Antwort geben einige sehr fiese Feinde. «Wer denkt wie ich, dass der tödliche Halskrebs (sic!) von Christopher Hitchens Gottes Rache an ihm anzeigt, weil er seine Stimme gebraucht hat, um ihn zu lästern?», fragt einer auf den Webseiten der Gläubigen. «Atheisten ignorieren sehr gerne die TATSACHEN. Sie tun so, als wäre alles nur ein grosser Zufall. Wirklich?»

Trost kommt erstaunlicherweise von derselben Seite. Geistliche mehrerer Religionen, mit denen er schon auf Podien die Klingen gekreuzt hat, teilen ihm mit, sie würden für ihn beten. Sogar ein Gebetstag wird mit einem YouTube-Video angekündigt – begleitet von einem Lied des Sängers Cat Stevens, «der als <Yusuf Islam> einst den hysterischen Aufruf der iranischen Theokratie unterstützte, meinen Freund Salman Rushdie zu ermorden». Hitchens stösst im Internet schliesslich auf ein bizarres «Wetten Sie drauf»-Video, bei dem man eingeladen wird, Geld darauf zu setzen, «ob ich bis zu einem gewissen Zeitpunkt meinem Atheismus entsage und religiös werde – oder aber weiter den Unglauben verkünden und die höllischen Konsequenzen ziehen werde».

In «Tumorhausen»

Ohnehin tritt rasch anderes in den Vordergrund. Der Patient wandert von Spital zu Spital und kommt in die Hand der besten Ärzte – die sich allesamt als machtlos erweisen. Christopher Hitchens wird in «Tumorhausen» heimisch, wie er es nennt – einem Ort, dessen Bewohner «fortwährend mit Behandlungsmethoden und Gerüchten von erfolgreichen Behandlungen attackiert werden». Strahlenkanonen werden auf ihn gerichtet, Substanzen verabreicht, die sich sehr giftig anfühlen. Die Haare fallen aus, er magert ab.

Ungeahnte Schmerzen

Erstickungsanfälle plagen ihn, sie wecken traumatische Erinnerungen an jene Folterpraktiken des so genannten «Waterboardings», das er zur Zeit der Auseinandersetzung um den Irakkrieg an sich hat ausprobieren lassen. Er lernt einen Schmerz kennen, wie er ihn nicht für möglich gehalten hat – und ist froh, dass die Erinnerung daran so schnell verblasst. Er schläft ganz wunderbar und empfindet es doch als eine grosse Verschwendung von Lebenszeit. Die letzten Eintragungen sind kurz, oft abgehackt. Im Nachwort berichtet seine Frau, Hitchens habe in den neunzehn Monaten seiner Krankheit «mit wilder Entschlossenheit auf dem Weiterleben bestanden, und seine Konstitution – physisch und philosophisch – tat alles, was sie konnte».

«Bald wieder zu Hause»

Als er zum letzten Mal ins Spital geht, hat er ein neues Buch im Kopf und schreibt einem befreundeten Redaktor, der auf einen Artikel wartet: «Tut mir leid wegen der Verzögerung, ich bin bald wieder zu Hause.» Das Ende kommt unerwartet. Seine Frau aber nimmt Bücher aus den Regalen, in die Christopher Hitchens Notizen gemacht hat. Sie liest seine unzähligen Zettel. «Dann höre ich ihn, und er hat das letzte Wort. Immer wieder hat Christopher das letzte Wort.»

Christopher Hitchens: Endlich. Mein Sterben, Pantheon 2013, 128 S., Fr. 18.90

Wir alle müssen sterben, doch jeder hat seinen eigenen Tod. Christopher Hitchens versucht es mit Humor: «Blumen vorbeizuschicken, ist auch nicht so nett, wie's vielleicht aussieht.» (Archivbild: Susann Basler)

Wir alle müssen sterben, doch jeder hat seinen eigenen Tod. Christopher Hitchens versucht es mit Humor: «Blumen vorbeizuschicken, ist auch nicht so nett, wie's vielleicht aussieht.» (Archivbild: Susann Basler)

Christopher Hitchens Amerikanischer Autor, Journalist und überzeugter Atheist (Bild: pd)

Christopher Hitchens Amerikanischer Autor, Journalist und überzeugter Atheist (Bild: pd)