Als keckes Rap-Chick ab-, als sensible Pop-Sängerin aufgetaucht. Die neue Steff la Cheffe (31) spricht über existenzielle Ängste, Herzschmerz und Käseverkaufen als Brotjob.
Wir treffen Steff la Cheffe in einem Kellerbüro in einem Berner Wohnquartier. Die Wände sind mit Plakaten überklebt, nicht zu übersehen ist auch das Poster ihres letzten Soloalbums «Vögu zum Geburtstag». Das war vor fünf Jahren: Heute meldet sich die bekannteste Schweizer Rapperin mit dem Pop-Album «Härz Schritt Macherin» zurück. Für ihr neustes Werk hat sie ihr Herz geöffnet, sagt sie. Siehe da: Steff la Cheffe ist nahbarer, sensibler und nachdenklicher denn je.
Steff la Cheffe: Nein, ich hatte erst Kaffee, Wasser und Zigaretten. Ich bin nicht mehr so streng mit frühstücken.
Ich habe mich verändert, bin erwachsen geworden. Ich kann mich jetzt besser bei Laune halten als früher.
Die Rapperin Steff la Cheffe, bürgerlich Stefanie Peter, kam am 4. April 1987 in Bern zur Welt. Sie wuchs im Breitenrain-Quartier mit zwei Brüdern auf. Ihr jüngerer Bruder ist autistisch. Die alleinerziehende Mutter war teilweise auf Sozialhilfe angewiesen. Mit 13 Jahren schrieb Steff la Cheffe ihre ersten eigenen Texte. Parallel dazu begann sie mit Beatboxing (erzeugen von rhythmischen Klängen mit Mund, Nase und Rachen).
Ihr erstes Hip-Hop-Album, «Bittersüessi Pille», erschien 2010, es landete auf Platz sieben der Schweizer Charts. Das nächste Album, «Vögu zum Geburtstag», erschien drei Jahre später und stürmte an die Spitze der Schweizer Hitparade. Die eingängige Single «Ha ke Ahnig», die ebenfalls 2013 erschien, blieb sechs Monate in den Charts. 2011 gewann Steff la Cheffe den Swiss Music Award in der Kategorie «Best Talent National».
Jetzt meldet sie sich, nach 5-jähriger Pause, mit dem Album «Härz Schritt Macherin» zurück. Im neuen Album, über Liebeskummer und Identität, zeigt sich Steff la Cheffe so nahbar und verletzlich wie noch nie.
Ich war auch schon verliebt, habe geschwärmt. Aber ich hatte immer eine Sicherheitszone um mich. Da habe ich niemanden hineingelassen. Ich hatte immer die Kontrolle, habe mich nie 100 Prozent hingegeben. Ich gab mich vielleicht auch dem Leben nicht 100 Prozent hin. Aber zum Fliegen gehört auch das Fallen und wieder aufstehen. So ist das Leben und so ist die Liebe.
Ich konnte meine Wünsche und Ziele befriedigen und suchte nach dem nächsten Abenteuer. Einmal schnappte ich den Satz auf: «Die Liebe ist das letzte Abenteuer, das man auf dieser Welt noch erleben kann.» Ich mag Abenteuer. Also wollte ich herausfinden, was es mit dieser Liebe auf sich hat. Das Drama in den Liebesfilmen habe ich nie verstanden. Ich dachte immer, mir passiert so was nicht, ich bleibe bei mir. Doch dieses Mal merkte ich, die Gefühle sind stärker und ich kann sie nicht mehr kontrollieren.
Verliebt ins Leben.
So wie es nicht mehr dieselben Läden gibt im Quartier, hat sich auch der Hip-Hop verändert. Mich interessieren jetzt mehr die feinen Töne. In diesem Album wollte ich nicht über Schwarz und Weiss, sondern über die Nuancen und Graustufen reden. Ich bin jetzt 31, soll ich noch anfangen, Trap zu machen wie eine 15-Jährige? Hör auf! Ich wollte immer schon meine eigene Sprache und meinen eigenen Weg finden. Dieses Mal wollte ich einfach meine Geschichten und Erfahrungen in Liedern erzählen. Es sind zwar poppige Lieder, aber ich bin immer noch eine Rapperin. Das bringt man nicht aus mir raus.
In diesem Ausmass ist das neu für mich. Vor fünf Jahren war mir vor allem wichtig zu beweisen, dass ich rappen kann. Dieses Mal war alles anders. Ich habe so krasse Sachen erlebt: Ich musste diese Erlebnisse zu Songs machen, sonst wäre ich draufgegangen, wäre ich mit meinem Leben nicht mehr klargekommen. Musik ist mein einziges Werkzeug, um mich aus dieser emotionalen Grube zu befreien.
Für mein subjektives Empfinden war es tatsächlich existenziell. Es ging mir nicht gut. Ich merkte, ich kann diese Gefühle nicht kontrollieren. Bis anhin konnte ich jedes Mal, wenn ich mich trennte oder Liebeskummer hatte, die Situation bis zu einem gewissen Grad mitbeeinflussen. Ich bestimmte, ob ich mich einen Tag oder einen Monat im Selbstmitleid suhle oder ob ich mich aufraffe. Diese Kontrolle ist mir entglitten. Zumindest empfand ich das so. Ich war absorbiert von der Vorstellung dieses anderen Menschen, konnte mich kaum mehr auf den Alltag konzentrieren. Ich fehlte sogar ein paar Tage auf der Arbeit. Wenn du ein Bein brichst, kannst du dich krankschreiben lassen. Aber wer schreibt dir ein Attest, wenn dein Herz gebrochen ist?
Wohin?
... ich driftete ab in meine Fantasievorstellung. Mein Anker war mein «Tagesbrotjob». Er sorgte für fixe Zeiten, Tagesstruktur, andere Gesichter. Das verankerte mich in der Realität.
Für ein KMU, das Käse und Fleisch vertreibt. Samstags verkaufte ich auf dem Markt in Bern. Unter der Woche arbeitete ich drei Tage bei 7 Grad in Thermokleidern, schnitt, verpackte und stapelte Käse und Fleisch.
Das werden wir sehen. Die letzten zwei Male hat es funktioniert. Doch in den letzten fünf Jahren ist nochmals viel passiert. Es wird noch weniger gekauft und noch mehr gestreamt. Die Jungen haben einfach kein Bewusstsein dafür, wie viele Stunden und wie viel Schweiss in einem Song stecken. Ich verurteile sie nicht deswegen. Sie verstehen es einfach nicht, weil sie mit Streamen musikalisch sozialisiert worden sind.
Das ist mir, ehrlich gesagt, ein wenig egal.
Ich war am Nullpunkt. Ich ging, verdammt noch mal, Käse schneiden! Was habe ich zu verlieren? Nichts! Ich spielte gar mit dem Gedanken, nie wieder aufzutreten, nie wieder ein Album zu schreiben. Wenn jemand nun das, was ich mache, einen Mist findet, kann mir das nicht mehr schaden. Mit jeder Art der Kritik habe ich mich selbst schon konfrontiert: Ist das Album zu kitschig? Zu poppig? Zu intim?. Es ist kitschig. Es ist poppig. Es ist intim. Nimm es oder lass es! Ich kann mich nur noch intellektuell mit den Reaktionen auseinandersetzen, nicht mehr emotional. Ich habe meinen Teil gemacht, nun gebe ich es euch. Es ist wie ein Geschenk. Was ihr damit macht, ist nicht mehr meine Sache.
Je länger, je mehr. Eine Antwort auf diese Frage zu finden, war ein Kampf. Es gab vernünftige Leute in meinem Umfeld, die mir geraten haben, mit der Musik aufzuhören, weil man damit nicht gut verdient. Mit 20 Jahren muss man das erstmal verdauen können. Und ja, es ist so, man verdient nicht regelmässig. Zwei Jahre verdiente ich gut, dann kamen zwei Jahre, in denen ich nichts verdiente. In diesen Jahren stellte sich die Frage, ob ich mit den alten Songs nochmals aufspiele oder Käse schneiden gehe. Es kann durchaus bereichernd sein für die Menschen, wenn ich Käse verkaufe. Aber in der Musik bin ich doch eher zu Hause.
Das wäre naheliegend gewesen. Aber das Gefühl, erreicht zu haben, worauf ich 15 Jahre hingearbeitet habe, war irritierend.
Ich bin in ein Loch gefallen. Ich merkte: Noch mehr zu verkaufen und auf noch grösseren Bühnen zu spielen, ist nur bedingt möglich und reizte mich nicht mehr. Die Vorstellung, musikalisch das immer gleiche Rezept zu kochen, löste in mir von nichts bis abtörn aus. Ich realisierte, dass ich ein neues Ziel brauchte. Kein Business-Ziel wie aus Gold wird jetzt Platin. Deswegen stehe ich morgens nicht auf. Das inspiriert mich nicht.
Diese haben dafür kein Verständnis. Einer sagte mir: «Du bist deinen Fans gegenüber ein Dienstleister, du musst ihnen etwas bringen.» Als Künstler sollte man das Privileg haben, an den Rand zu stehen. Wie ein Hofnarr. Den zahlt man nicht dafür, dass er diesen verdammten «Ja-Sager» und «Arschkriecher» spielt, wie alle anderen. Es braucht jemanden im Hofstaat, der dem König sagt, dass er ein Dummkopf ist. Ohne, dass er dabei den Gesetzen des Kapitalismus ausgesetzt ist. In der Kunst soll es nicht um Gewinnmaximierung gehen. Sondern darum, den Schatz an Erfahrungen zu teilen.
Ich wollte einfach eine Plattform für meine Message. Ich strebte nach Respekt und Anerkennung von jenen, die ich selbst bewundere.
... Stopp! Ich wollte nie ein Star sein.
Ja, aber es sind zuvor viele Tränen geflossen. Ich habe sehr viele Emotionen in dieses Lied gesteckt. Aber allein das Lied hat eine enorme emotionale Kraft. Deshalb wurde es in der Fremdenlegion verboten. Zu viele Soldaten hatten sich nach dem Singen des «Guggisberglieds» die Kugel gegeben.
Mit sehr viel Respekt. Zum Glück wusste ich nicht, dass schon ein Dutzend Künstler vor mir dieses Lied gesungen haben.
Nein. Ich hörte das Lied zum ersten Mal vor etwa zwei Jahren. In der Schule haben wir Mani Matter kennen gelernt, aber nicht das «Guggisberglied».
In Norditalien. Ich war dort mit Freunden wandern. Dabei haben wir immer wieder gesungen. Und so hörte ich erstmals das Guggisberglied. Das Lied erfordert aber Mut zur Lücke. Würde ich jede Strophe singen, dauerte das Lied etwa sieben Minuten. Es gibt doch diese wunderschöne Strophe: «Das eini treit Muschgate, das andri Nägeli. Muschgate die si süessi, und d’Nägeli si räss. I gab’s mim Lieb z’versueche, dass’s miner nit vergäss.» Es hat mir enorm wehgetan, darauf zu verzichten.
Wenn es sich ergibt. Aber es muss nicht sein. Im Moment bin ich huere zufrieden, wie es ist. Ich geniesse meine Freiheit. Ich glaube zu wissen, was es bedeutet, eine Familie zu haben. Aber Künstler- und Familienleben sind selten kompatibel.
Ich werde sicher nie die Hausfrau spielen. Wenn überhaupt Familie, dann nur mit einem Mann der sagt: Los, rocken wir das fifty-fifty.
Wenn es sich für mich richtig anfühlt, könnte ich es mir vorstellen. Mit Betonung auf könnte. Ich sage bewusst nicht kann ich, will ich oder muss sein. Ich habe mich lange genug in so was reingesteigert. Momentan bin ich aber auf der anderen Seite des Flusses. Und dort fühlt es sich richtig geil an, frei und unabhängig zu sein. Letzten Sommer ist eine Freundin mit Baby und Hund temporär bei mir eingezogen.
Ich habe es nicht allein aus Nächstenliebe gemacht, sondern auch, um zu erfahren, wie es ist, ein Kind zu haben. Es ging mir darum, die romantisch-verklärte Vorstellung von mir, meinem Traummann und unserem Wunschbaby durch ein realistisches Bild zu ersetzen. Was bedeutet es für meinen Tagesrhythmus, wenn ich ein Bébé hätte? Es war sehr anstrengend und sehr schön und eine wichtige Erfahrung für mich.
Das habe ich mich auch schon gefragt.
Zugegeben, er ist pubertär. Und vielleicht werde ich meinen Künstlernamen auch mal ändern. Aber mein neues Album ist gleichwohl eine Weiterführung dessen, was ich bislang gemacht habe. Es ist kein kompletter Bruch. Es gibt immer noch Steff-la-Cheffe- und Rap-Momente auf dem Album. Eine grosse Frage war aber: Unter welchem Genre lassen wir das Album laufen? Man muss ein Genre angeben, um es beispielsweise auf iTunes zu lancieren. Rap und Hip-Hop passt nicht. Klassik, Dance, Rock auch nicht.
Ja. Pop von einer Rapperin, die Pop mal ziemlich gehasst hat. Ich will, dass mein Zeug zugänglich ist. Ich will nicht in Genres denken. Ich mag nicht für ein bestimmtes Zielpublikum oder eine bestimmte Szene Musik machen. Wenn meine Musik halt nirgends sonst reinpasst. Na gut, dann nehmen wir halt Pop. Wenn ihr unbedingt Schubladen wollt, dann geh ich halt in diese Schublade.