Manchmal haben Kinder ein sprachliches Prinzip verstanden, stossen aber unglücklicherweise auf eine Abweichung von der Norm. Dann ist Vorsicht vor einer Überkorrektur geboten, schreibt unser Kolumnist Pedro Lenz.
Der Vierjährige weiss noch nicht viel über das Hochdeutsche. Immerhin weiss er, dass viele Wörter, die in seiner Mundart mit einem Vokal aufhören, auf Hochdeutsch mit einem N abgeschlossen werden. So sagt er, wenn er das Mundartverb «rede» ins Hochdeutsche übersetzt, korrekterweise «reden». Das Prinzip mit dem angehängten N funktioniert problemlos bei Verben wie «spiele», «wohne» und «mache» oder bei Substantiven wie «Stei», «Rase» und «Schatte». Auch bei mundartlichen Mehrzahlformen wie «Tasse», «Kasse» oder «Klasse» genügt ein angehängtes N, um den Dialekt ins Hochdeutsche zu überführen.
Weil es zuweilen funktioniert, folgert der Vierjährige daraus, das Verfahren mit dem angehängten N komme im Hochdeutschen auch bei Eigennamen zur Anwendung. Deswegen nennt er den Fussballstar Benzema, wenn er hochdeutsch redet, Benzemann, eine Trudi nennt er Trudin und ein Ruedi wird zum Ruedin. Ähnlich verfährt er mit dem Essen. Die Rösti nennt er auf Hochdeutsch Röstin, und die Spaghetti werden zu Spaghettin.
Das Phänomen des Korrigierens, wo es gar nichts zu korrigieren gibt, nennt sich Überkorrektur. Die Überkorrektur kommt nicht nur bei Kindern vor. Viele Deutschsprachige wissen zum Beispiel, dass in Spanien manch ein C oder manch ein Z gelispelt ausgesprochen wird. Dieses Wissen verleitet manche von ihnen zur Annahme, im Spanischen werde prinzipiell gerne und viel gelispelt. Versuchen sie dann Spanisch zu reden, lispeln sie auch dort, wo ein reines S korrekt gewesen wäre.
Aber auch in die andere Richtung gibt es Überkorrekturen. Ein spanischer Freund wusste, dass es im Deutschen viele zusammengesetzte Wörter gibt. Ihm war beim Deutschlernen klar geworden, dass wir dem See von Spiez nicht See von Spiez, sondern Spiezersee und dem See von Thun nicht See von Thun sondern Thunersee sagen. Also wusste er, dass das Wortende -see, im Spanischen mit «Lago» übersetzt werden muss, und der Wortanfang ihm den Hinweis lieferte, um welchen «Lago» es sich handelt. Als er dann auf die Ortstafel Herzogenbuchsee traf, wollte er unbedingt den «Lago de Herzogenbuch» besuchen. Es war ihm fast nicht beizubringen, dass es sich im Fall von Herzogenbuchsee nicht um einen See, sondern nur um einen Ortsnamen handelt.
Ob es sich im folgenden Fall auch um eine Überkorrektur handelt oder schlicht um eine falsche Verallgemeinerung, weiss ich nicht sicher. Ein ehemaliger Schulkollege von mir soll einmal in seinen Ferien in New York City nach einem bekannten Stadion gefragt und statt «Madison Square Garden» ständig nur «Madis Square Garden» gesagt haben. Als ihn die Freunde darauf hinwiesen, dass es «Madison» heisse und nicht «Madis», habe er geantwortet, das sei ihm schon klar. Aber er wolle halt in New York ein wenig einheimischer erscheinen. Seinem Dorf sagten schliesslich auch nur die Fremden Madiswil. Den Alteingesessenen genüge es, Madis zu sagen. So dürfe er annehmen, dass die echten New Yorker nicht Madison, sondern höchstens Madis sagten.