Debatte
So kam das «Negerlein» auf den Ausweis des Aargauischen Kunstvereins

Das Bild auf dem Kunstvereins-Ausweis irritierte Schriftsteller Klaus Merz. Kunsthaus und Kunstverein erklären nun die Wahl und das Werk der schwarzen Tänzerin.

Sabine Altorfer
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Die Figur des Anstosses: «exotic vintage dancer» von Pascal Danz. Das Bild zeigt keine Skulptur, sondern ein Ölgemälde, 250×200 cm gross, nach einer in der Schweiz populären Figur aus den 1950er-Jahren.

Die Figur des Anstosses: «exotic vintage dancer» von Pascal Danz. Das Bild zeigt keine Skulptur, sondern ein Ölgemälde, 250×200 cm gross, nach einer in der Schweiz populären Figur aus den 1950er-Jahren.

Ein offener Brief von Schriftsteller Klaus Merz, der am Freitag in der AZ publiziert wurde, sorgte für Aufsehen. Ihn habe «Wut und Scham» gepackt über die Wahl «eines lustigen Negerleins» für den Kunstvereins-Ausweis, schrieb Merz und fragte, welche Botschaft hinter dieser Bilderwahl stehe.

Madeleine Schuppli, Direktorin des Kunsthauses, und Kaspar Hemmeler, Präsident des Aargauischen Kunstvereins, reagieren auf den Brief von Klaus Merz.

Im Wortlaut: der Brief von Klaus Merz

Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Kunstfreunde

Zuerst traute ich meinen Augen nicht und sah mich in die Sonntagsschule der frühen Fünfzigerjahre zurückversetzt: Denn da ziert doch tatsächlich ein lustiges «Negerlein» den neusten Mitgliederausweis des aargauischen Kunstvereins. Vermutlich wird es nicken oder tanzen, wenn wir den Mitgliederbeitrag brav einbezahlt haben . . . Nein, auch wenn es mir anfangs die Sprache fast verschlagen und mich Scham und Wut über diese gespenstische Arglosigkeit gepackt haben, muss ich Euch doch fragen, was Ihr uns mit Eurer Auswahl dieses Bildes eines «Bildes» im Jahr 2019 wohl mitzuteilen hofft?

Mit gutem Gruss,
Klaus Merz

Die Antwort des Kunsthauses und des Kunstvereins

«In einem offenen Brief hat der Schriftsteller Klaus Merz sein grosses Befremden über das Bild auf dem neuen Mitgliederausweis des Aargauischen Kunstvereins ausgedrückt. Gerne nehmen wir dazu Stellung.

Auf den Ausweisen des Kunstvereins ist jeweils ein Werk aus der Sammlung des Kunsthauses abgebildet, welches im kommenden Ausstellungsjahr eine besondere Bedeutung haben wird. Das Gemälde «exotic vintage dancer» (2015) des Künstlers Pascal Danz wird 2019 in «Big Picture: Das grosse Format.» (Eröffnung 25. Januar) gezeigt und ist zudem im April «Bild des Monats». Die Wahl dieses Gemäldes ist auch eine Hommage an den 2015 viel zu jung verstorbenen, bedeutenden Schweizer Künstler.

Abgebildet ist auf dem Ausweis nicht ein «Negerlein», sondern – und diese Unterscheidung ist wichtig – ein Gemälde. Dieses beschäftigt sich mit einem Figürchen, das stilistisch dem «Tiki Pop» zuzurechnen ist, einer in der Nachkriegszeit auch in der Schweiz populären Mode des Südseekults. So standen in manchen helvetischen Wohnstuben solche schwarzen Figürchen – tanzend, halbnackt, mit Baströckchen. Damals sah niemand ein Problem darin. Heute ist vieles davon ins Brockenhaus gewandert, wo auch Pascal Danz seine Tänzerinnenfigur gefunden hat, und wir empfinden die falsche Exotik der biederen Fünfzigerjahre derzeit zu Recht als rassistisch und sexistisch.

Genau das thematisiert der Künstler, indem er die Statuette mit all ihren Absonderlichkeiten detailliert darstellt. Das Deko-Figürchen malt er überdies mehr als zwei Meter gross und verleiht ihm somit das stattliche Format des traditionellen Herrscherportraits. Dadurch zwingt er uns zur Reflexion eines Stücks Kulturgeschichte, von der wir alle Teil sind und die immer noch Aktualität hat. Zudem hat die Motivwahl mit der Biografie des Künstlers zu tun, denn Pascal Danz hat Teile seiner Kindheit in der Zentralafrikanischen Republik verbracht. Der naive, kolonialistisch geprägte Blick des Westens auf die aussereuropäische Kultur hat den Maler zeitlebens beschäftigt und er hat dieses Thema in mehreren Bildern bearbeitet.

Der entscheidende Punkt ist, das Motiv nicht mit der Bedeutung gleichzusetzen. Ansonsten entfällt die bereichernde und hochspannende Auseinandersetzung mit den verschiedenen Bedeutungsschichten, welche jedes gute Kunstwerk in sich trägt. Diesem Diskurs fühlt sich der Kunstverein verpflichtet und wir wollen unsere Mitglieder und das Kunsthauspublikum daran teilhaben lassen.

Gleichzeitig nehmen wir zur Kenntnis, dass die Verbreitung von «exotic vintage dancer» einen spezifischen, erklärenden Kontext erfordert. Diesen haben wir den Mitgliedern geliefert, indem das Bild im Jahresbericht ausführlich vorgestellt wurde, und diesen Kontext werden wir im Rahmen der kommenden Ausstellung schaffen können. Auf dem Mitgliederausweis fehlt diese Möglichkeit der Vermittlung. Wir entschuldigen uns, wenn wir damit bei gewissen Kunstvereinsmitgliedern Irritation ausgelöst haben, und danken Klaus Merz gleichzeitig für sein kritisches Mitdenken und engagiertes Debattieren.»

Kaspar Hemmeler, Präsident Aargauischer Kunstverein

Madeleine Schuppli, Direktorin Aargauer Kunsthaus