Am ersten Performance-Open-Air trieben sich im St. Galler Stadtpark seltsame Gestalten herum: Mit Spielzeuggewehr und Smartphone bewaffnete Jägerinnen im Golddress waren ebenso darunter wie ein Waldkobold im Farnkostüm.
Die junge Dame in elegantem Schwarz trägt lange Handschuhe. Perlen schmücken ihre Ohren und ihr Handgelenk. Mit einem Sackmesser schneidet sie eine Bratwurst auf einem Silbertablett sorgfältig in Scheiben. Darauf setzt sie je einen Tupfen Senf. Die zerteilte Bratwurst serviert sie nicht dem Publikum, sondern legt sie sich als Schmuck um den Hals und stolziert mit ungerührter Miene davon – kein Scheibchen fällt zu Boden.
«Alles hat ein Ende» lautet der Titel der rund vierminütigen Performance der Liechtensteinerin Martina Morger. Sie ist eine von 14 Künstlerinnen und Künstlern, die am Samstag am ersten St. Galler Performance-Open-Air im Stadtpark in insgesamt zehn Performances auftraten. Sie stammen überwiegend aus der Ostschweiz, wo die Performancekunst bisher eher ein Schattendasein fristete. Der gut besuchte und gelungene Anlass fand bei bestem Wetter statt. Organisiert wurde er von Maricruz Peñalosa. Die Zürcherin mit mexikanischen Wurzeln ist seit langem in der Schweizer Performanceszene aktiv und hat einige Jahre in St. Gallen gewohnt.
Mit liebevoller Ironie nimmt Martina Morgers Performance die St. Galler Doktrin, die Bratwurst um Himmelswillen ja nicht mit Senf zu essen, auf die Schippe. Sie ist nicht die einzige Künstlerin, die sich mit einem kulinarischen St. Galler Kulturgut auseinandersetzt: In Riccarda Naefs Auftritt spielt St. Galler Brot die Hauptrolle. Ein erster Pfünder wird von ihr zu Confibrötli verarbeitet und ans Publikum verteilt, danach schneidet sie einen Ein-Kilo-Laib in immer kleinere Scheiben. Als sie diese achtlos zu Boden wischt, kippt die Situation. Die Künstlerin holt einen doppelt so grossen Laib hervor und beginnt, ihn mit fiebrigem Eifer auszuhöhlen. Sein weiches Inneres wirft sie zu Boden, drückt es sich an den Bauch, klaubt es vom Boden auf. Dann stopft sie es in ihre Hosentaschen und in den Mund. Schliesslich klebt sie sich damit Augen und Ohren zu: nichts reden, nichts sehen, nichts hören. Eine Performance in drei Akten, die verstört und fasziniert.
Der Einbezug des Publikums während einer Performance ist eine heikle Sache: Parvez Imam muss die Zuschauer mehrmals auffordern, sich ihm anzuschliessen. Das hat vielleicht mit der extravaganten Kostümierung des Baslers zu tun: Er trägt eine Kuhglocke um den Hals und hat sich Stücke von rot-weissen Absperrbändern um Arme und Stirn gebunden. Damit stattet er auch seine Assistenten aus und rennt mit ihnen durch den Park. Wassili Widmer hingegen lädt die Besucher in der Manier eines Showmasters ein, mit ihm einen Spaziergang zu unternehmen.
Unter einem Vorwand bringt er sie dazu, Steine auf Laternen, Parkuhren oder ein Toi-Toi zu werfen. Den Künstler interessiert dabei, welche Grenzen Menschen zu überschreiten bereit sind, wenn man sie dazu auffordert. Eine ziemlich exaltierte Performance bieten Monica Germann und Viktoria Kölle. Zwischen Yogaübungen in knallbunter Kleidung kümmern sie sich um eine Reihe von Plüschtierchen. Der gezähmten Natur des Stadtparks wird das karikierte Äussere der Kitschtiere gegenübergestellt, das nur noch entfernt an reale Tiere erinnert. Am Ende der Performance, der eine Straffung gut getan hätte, werden sie vom Publikum in die Bäume getragen.
Von den Bewohnern der Volière haben sich gleich mehrere Künstler inspirieren lassen, was dem Stadtpark kurzzeitig einige seltsame Vögel beschert. Andrea Vogel (!) und Beatrice Dörig haben ein «Rendezvous in der Volière». Hinter einer Hecke, vor den Augen des Publikums verborgen, zwitschern, tschilpen, piepsen, gackern und krächzen sie um die Wette. Im ersten Moment ist nicht klar, woher die Vogelgeräusche kommen. Danach staunt und schmunzelt man über das Können der Künstlerinnen. Vor lauter Schreck lassen sich die Vögel hinter dem Gitter nur noch dezent vernehmen.
Die Luzernerin Karyna Herrera hingegen tritt als elfenhaftes Vogelwesen auf und lässt sich von den Besuchern Federn aus dem Kleid zupfen und fortblasen. Bei ihr und auch bei der Performance der Kunstfigur Erika Sieber zeigen sich die Tücken einer Veranstaltung im öffentlichen Raum: Eine Kinderschar rückt zum Teil aufdringlich nahe an die Künstlerinnen heran. Diese lassen sich davon nicht beirren. Erika Sieber tritt im Doppelpack im goldenem Ganzkörperdress auf und «schiesst» das Publikum mit einem Smartphonegewehr ab.
Seinen ersten Liveauftritt als Performer hat Stefan Rohner. Gut getarnt als Waldkobold lässt er (Papier-)Blumen wachsen und regt zum Nachdenken über die unterschiedlichen Zeithorizonte von Menschen und Bäumen an. Sein Fazit: Der Künstler ist ein Hofnarr.
Der poetischste Auftritt des Open-Airs ist jener von Asi Föcker und Raoul Doré. Mit je zwei runden Spiegeln fangen sie das Sonnenlicht ein und werfen es auf die Betonwand des Theaters. Ziel ist es, dass sich die vier runden Projektionen überlagern und eins werden, dafür nötig sind absolute Konzentration und eine ruhige Hand. Die Performance ist zu Ende, als die Sonne hinter den Wolken verschwindet.