Ella Littwitz legt in der Kunsthalle St.Gallen das Mittelmeer trocken

Die Israelin erzählt von Bäumen, die in Käfige gesteckt werden, und was Unkraut mit dem Konflikt zwischen Israel und Palästina zu tun hat. Ihre Werke sind ebenso politisch wie poetisch.

Christina Genova
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Ella Littwitz, umwogt von ihrer Mittelmeerskulptur. (Bild: Michel Canonica (St. Gallen, 17. Mai 2019))

Ella Littwitz, umwogt von ihrer Mittelmeerskulptur. (Bild: Michel Canonica (St. Gallen, 17. Mai 2019))

Würde man dem Mittelmeer den Stöpsel herausziehen und es dann umstülpen, käme heraus, was da schwarz über den Boden der Kunsthalle St. Gallen wogt. Das Gebilde, das an eine Hügellandschaft erinnert, ist nichts Anderes als die Negativform des Mittelmeerbeckens.

Die Erhebungen der Skulptur hat die Künstlerin Ella Littwitz aus gestapelten Autoreifen gebaut. Sie beziehen sich sowohl auf die Schlauchboote der Schlepper, als auch auf die Bojen der Fischer: das Mittelmeer als Wirtschafts- und Migrationsraum.

Ella Littwitz hat die Negativform des Mittelmeers aus Autoreifen und Geozellen gebaut. (Bild: Michel Canonica)

Ella Littwitz hat die Negativform des Mittelmeers aus Autoreifen und Geozellen gebaut. (Bild: Michel Canonica)

Die netzartige Struktur besteht aus Geozellen. Diese Kunststoffelemente werden im Strassenbau verwendet, um den Boden zu stabilisieren und zu begrenzen. Verbindung und Grenze zugleich ist auch das Mittelmeer.

Was wäre, wenn Afrika und Europa nicht mehr durch Wassermassen getrennt wären? Wenn die Menschen trockenen Fusses von einem Kontinent zum andern gelangen könnten und das Mittelmeer nicht mehr zum Massengrab verkäme? Es sind Fragen, welche Ella Littwitz mit ihrer Skulptur implizit stellt.

Einst trocknete das Mittelmeer aus

Was verrückt klingt, war einst Realität. Vor sechs Millionen Jahren trocknete das Mittelmeer aus. Diese auf Fossilienfunden basierende Erkenntnis bewog den deutschen Geologen und Pazifisten Herman Sörgel, ab 1928 an seinem utopischen Projekt «Atlantropa» zu arbeiten.

Durch den Bau von zwei Dämmen in der Strasse von Gibraltar und bei den Dardanellen sollte der Meeresspiegel um etwa 100 Meter abgesenkt und dadurch Afrika und Europa miteinander verbunden werden.

Niedergebrannt, evakuiert, verschleppt

Ella Littwitz interessiert sich dafür, wie Territorien oder Grenzen ideologisch besetzt oder mit nationaler Identität verknüpft werden. Sie geht in ihrem Schaffen häufig von ihrer Heimat Israel aus, wo solche Themen von drängender Virulenz sind. Trotz aller politischer Implikationen sind ihre Arbeiten von grosser Poesie.

Ella Littwitz liess ihre Bronzeskulptur «The Promise» in der Kunstgiesserei St.Gallen herstellen. (Bild: Christina Genova)

Ella Littwitz liess ihre Bronzeskulptur «The Promise» in der Kunstgiesserei St.Gallen herstellen. (Bild: Christina Genova)

Ein wichtiger Teil von Ella Littwitz’ Arbeit ist die Recherche, so auch bei ihrer Bronzeskulptur «The Promise», die sie in der Kunstgiesserei St. Gallen hat herstellen lassen. Es ist der Abguss des Überrests eines Baumes, der 1898 von Theodor Herzl, dem geistigen Vater des Staates Israel, im palästinensischen Arza als Symbol für die jüdischen Siedler gepflanzt wurde.

Das wurde ihm schon bald zum Verhängnis: 1915 wurde er von den Osmanen niedergebrannt, 1948 nach Jerusalem evakuiert, nach dem Krieg wieder zurückgebracht und mit einem eisernen Käfig versehen. Dieser wurde 2009 mit Beton verstärkt, denn das Gitter war geöffnet und der Baumstrunk verschleppt worden.

Mit viel Verhandlungsgeschick und Überzeugungsarbeit schaffte es Ella Littwitz, einen 3D-Scan des Strunkes zu erhalten, um daraus die Skulptur herzustellen.

Eine Killerpflanze in Bronze

Ella Littwitz fertigte von den Samen der Pflanzen, die der Autor Michael Zohary in seinem Buch «Das Unkraut Palästinas und seine Bekämpfung» zur Ausrottung empfahl, Bleistiftzeichnungen an. (Bild: Michel Canonica)

Ella Littwitz fertigte von den Samen der Pflanzen, die der Autor Michael Zohary in seinem Buch «Das Unkraut Palästinas und seine Bekämpfung» zur Ausrottung empfahl, Bleistiftzeichnungen an. (Bild: Michel Canonica)

Derart nationalistisch aufgeladen, verlieren nicht nur Bäume, sondern auch Pflanzen ihre Unschuld. Das zeigt die Installation «Uproot», die aus zarten Bleistiftzeichnungen von Pflanzensamen besteht, die im 1941 erschienenen Buch «Das Unkraut Palästinas und seine Bekämpfung» aufgeführt werden.

Der Autor listet darin 142 Pflanzen auf, die seiner Ansicht nach ausgerottet werden müssten. Die Künstlerin entlarvt mit ihrer Arbeit, wie mittels scheinbar neutraler botanischer Begrifflichkeiten politische Ideologien transportiert werden.

Die Pionierpflanze Dittrichia viscosa duldet keine anderen Gewächse neben sich. (Bild: Michel Canonica)

Die Pionierpflanze Dittrichia viscosa duldet keine anderen Gewächse neben sich.
(Bild: Michel Canonica)

Wie wenig Ella Littwitz von der in ihrer Heimat vorherrschenden Besatzungspolitik hält, drückt sie in der Skulptur «Muşah» aus. Es ist ein filigraner Bronzeabguss der Pionierpflanze Dittrichia viscosa. Sie besiedelt als erste frisch gerodete Böden, duldet aber keine anderen Pflanzen neben sich.

Eine Alternative dazu hat die Künstlerin im Titel eingebaut: «Muşah» bezeichnet ein Konzept aus dem osmanischen Landrecht, das auch in Israel akzeptiert wird. Es steht für die gemeinsame Eigentümerschaft von Immobilien. Wörtlich übersetzt bedeutet es Partnerschaft.

Ella Littwitz, Kunstmuseum St. Gallen, bis 4.8.