Sexismus im Spiel
Under, Ober – Königin! US-Spielkarten werden diverser und weiblicher – ziehen Schweizer Jass-Hersteller jetzt nach?

In Amerika sorgen neue Spielkarten mit mehr Frauen und Figuren unterschiedlicher Hautfarbe für Aufsehen – und Erfolg. Werden nun auch hiesige Jass-Sujets diverser? Eine deutsche Kulturwissenschaftlerin hält dies für dringend nötig.

Benjamin Weinmann
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Kein Platz für Frauen: Auf den Jasskarten, mit denen in der Deutschschweiz gespielt wird, sind weibliche Figuren Fehlanzeige.

Kein Platz für Frauen: Auf den Jasskarten, mit denen in der Deutschschweiz gespielt wird, sind weibliche Figuren Fehlanzeige.

Chris Iseli

Kenny Rogers hatte gute Ratschläge für Kartenspieler: «Du musst wissen, wann du sie festhalten, und wann du sie aufgeben musst.» Der US-Country-Star sang in seinem Hit «The Gambler» über Lebensweisheiten aus dem Poker-Spiel, über Asse, Zigaretten und Whiskey-Flaschen. Doch Rogers sang nicht über Frauen.

Kein Wunder, denn sie fristen in traditionellen Spielkarten ein Schattendasein – auch im Schweizer Jass. Sei es in den französischen oder in den Deutschschweizer Karten. Bei ersteren gibt es zwar eine Dame. Diese ist aber wertmässig dem männlichen König unterstellt. Und bei den Deutschschweizer Sujets fehlt eine weibliche Figur komplett. Hier gibt es nur den Under, Ober und den König.

«MeToo»- und «BLM»-Debatten halten Einzug

Eine 16-jährige Jungunternehmerin in den USA wollte die gängigen Karten-Sujets nicht länger akzeptieren. Grosse Fernsehsender wie CNN oder ABC berichteten kürzlich über Maayan Segal, die von diesen alten Spielhierarchien genug hatte. Sie lancierte Karten, in denen es sowohl Könige als auch Königinnen gibt, Prinzen und Prinzessinnen, und einen weiblichen Joker. Die Kartenserie verkaufte sich rasch über 50'000 Mal. Kurz darauf folgte eine zweite Edition, die für mehr Diversität bei den Sujets sorgte mit unterschiedlichen Hautfarben.

In den USA ein Erfolg: Die neuen «Queeng»-Spielkarten mit mehr Diversität bei der Sujet-Gestaltung.

In den USA ein Erfolg: Die neuen «Queeng»-Spielkarten mit mehr Diversität bei der Sujet-Gestaltung.

Screenshot, www.queengcards.com

Die «MeToo»- und «Black Lives Matter»-Debatten halten im Kartenhaus Einzug. Ziehen nun Schweizer Jass-Produzenten nach? Die Kulturwissenschaftlerin Susan Arndt von der Universität Bayreuth hält dies für zwingend nötig. Sie bezeichnet die heutigen Sujets als sexistisch und rassistisch.

Susan ArndtLiteratur- und Kulturwissenschafterin der Universität Bayreuth

Susan Arndt
Literatur- und Kulturwissenschafterin der Universität Bayreuth

zvg

«Jassenden würden eine Königin kaum akzeptieren»

Der Spieleverlag «Carta.Media» aus Seuzach ZH hat keine derartigen Pläne. Die Jasskarten hätten nun mal eine lange Tradition, sagt Geschäftsführer Thomas Vock. So ist überliefert, dass der «Jass» Ende des 18. Jahrhunderts aus den Niederlanden in die Schweiz kam. «Die Jassenden mögen die klassischen Sujets und würden eine Neuerung wie zum Beispiel eine Königin kaum akzeptieren», sagt Vock. Nur schon minimste Änderungen würden in der Jass-Gemeinschaft auf Kritik stossen. «Wir produzieren das, was die Kundschaft verlangt.»

Vor einigen Jahren hatte die Firma Weihnachts-Jasskarten produziert, mit dem Samichlaus anstatt eines Königs. «Das sind nette Gags, die aber nicht lange anhalten. Irgendwann möchten alle wieder mit den klassischen Karten spielen.» Vock betont, dass er nichts gegen mehr Diversität in den Sujets hätte. «Aber bisher gab es keine Nachfrage dafür.» Und da eine Produktion einer neuen Serie einiges koste, könne er das Risiko nicht eingehen. «Die Gefahr, dass die Karten am Schluss nicht verkauft werden, ist zu gross.» Dass er mit vielfältigeren Karten eine neue Käufergruppe ansprechen könnte, glaubt Vock nicht.

«Jassen trägt zur Diversität bei»

Bei AGMüller in Neuhausen am Rheinfall, dem laut eigenen Angaben Schweizer Marktführer für Spiel- und Jasskarten, tönt es ähnlich. Pro Jahr verkauft die Tochterfirma des belgischen Cartamundi-Konzerns über eine Million Jass-Sets hierzulande. Auch Geschäftsführer Daniel Schaffner betont die Tradition der Jass-Motive. «Diese wurden in den letzten Jahrhunderten nicht gross verändert.»

Der Firma sei es wichtig, diese historischen Bilder beizubehalten. Überhaupt: «Das Jassen trägt einen wichtigen Teil zur Diversität und sozialen Inklusion in der Schweiz bei», sagt Schaffner. «Am Jass-Tisch sitzen Männer, Frauen und Kinder verschiedener Generationen unabhängig vom Bildungsgrad zusammen und haben Spass am Spiel.» Das soll auch in Zukunft so bleiben. Überlegungen, die Motive zu ändern, gebe es nicht. «Wir haben diesbezüglich keine Anstösse von der Jass-Gemeinschaft erhalten.»

In den 90er-Jahren gab es einen reinen Frauen-Jass

Allerdings: In der Vergangenheit gab es den einen oder anderen Versuch, die Jasskarten-Sujets zu aktualisieren, erinnert sich Rudolf Manser aus Frauenfeld TG. Er kennt sich mit der Materie aus: Seit 30 Jahren sammelt er Jass-Editionen und bringt es auf über 200 Serien. «Die Firma AGMüller versuchte in den 80er- oder 90er-Jahren einst modernere Zeichnungen zu verwenden, doch die Serie hatte keinen Erfolg.» Und in den 90er-Jahren sei ein reiner «Frauejass» auf den Markt gekommen, ohne Under, Ober und König, dafür mit Amazonen, Damen und Königinnen. «Auch diese Serie verschwand aber wieder.»

Frauen-Jasskarten aus den 90er-Jahren. Sie hatten keinen Erfolg.

Frauen-Jasskarten aus den 90er-Jahren. Sie hatten keinen Erfolg.

Ricardo

Manser versteht die Argumente der heutigen Spielkartenhersteller: «Die Jasser tun sich in der Tat schwer mit Änderungen an ihren Karten, da sie das Bild beim Spielen möglichst rasch erkennen möchten.» Doch was ist mit der jüngeren Generation, die sich stärker für Diversitäts- und Gleichberechtigungsfragen interessiert als vielleicht noch vor zehn, zwanzig Jahren? «Diejenigen, die bereits heute jassen, werden kaum umsatteln», sagt Manser. «Aber um neue, jüngere Spieler fürs Spiel zu interessieren, wäre es bestimmt ein Versuch wert, einen neuen Anlauf zu starten.»