Seneca singt leise mit

Mehrstimmig näherte sich Stefan Stirnemann beim Bach-Zyklus in Trogen der Kantate BWV 13 – und machte aus der Reflexion zu «Meine Seufzer, meine Tränen» ein imaginäres philosophisches Quartett.

Bettina Kugler
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Man denke sich die Reflexion zwischen den zwei Kantatendurchgängen für einmal als ein philosophisches Quartett. Die unsichtbaren Gäste, die sich gerade BWV 13 («Meine Seufzer, meine Tränen») angehört haben: neben dem Philosophen Seneca der Apostel Paulus und, etwas im Hintergrund, eine wenig bekannte Frau. Sie heisst Cato Bonjes van Beek, war Keramikerin im Worpsweder Kreis und wurde 1943, damals 23 Jahre jung, von den Nazis in Plötzensee hingerichtet – weil sie ein Flugblatt für die Widerstandsgruppe «Die rote Kapelle» gestaltet hatte. «Beihilfe zur Vorbereitung zum Hochverrat» lautete ihr Todesurteil in teuflischer Bürokratie.

«So sei nun, Seele, deine»

Ins Gespräch bringt sie der «Moderator» und einzige sichtbare Redner des Abends: Stefan Stirnemann, Altphilologe, Gymnasiallehrer und engagierter Streiter gegen die letzte Rechtschreibreform. Ins Zentrum der Reflexion stellt Stirnemann den Appell des Schlusschorals, «So sei nun, Seele, deine», einen Text des Barockdichters Paul Fleming, den Bach der Kantate hinzugefügt hat – für Stirnemann Hinweis auf einen Hang des Komponisten zum Stoizismus.

«Wunderbar, dass diese göttlichen Dinge uns allen gehören und dass ein sterblicher Mensch sie geschaffen hat», wirft die junge Cato ein (und meint dabei Bachs Musik): ein Satz, für den allein der Weg nach Trogen sich gelohnt hätte und der in der Wiederholung der Kantate die Kunst des Seufzens tragisch mit Leben füllte. Wie schwerer Nebel liegen Wehmut und Tränen über der Eingangsarie von Tenor Jakob Pilgram, ein fahles Siciliano mit gedämpft klagenden Blockflöten (Annina Stahlberger, Teresa Hackel) und Oboe da cacchia (Ingo Müller).

Mit Bach auf Augenhöhe

Zurückhaltend expressiv gestalten auch Altus Jan Börner und Susanne Seitter die Rezitative. Etwas forciert dagegen das harsche Rezept, das Wolf Matthias Friedrich in der Bassarie der ächzenden Seele diktiert. Mehr haften bleibt die leise Mehrstimmigkeit der Reflexion Stefan Stirnemanns: frei von Jammer, in ihrer Eloquenz mit Bach auf Augenhöhe.