Mit dem Musiktheater «Monteverdi» zeigt Ballettdirektor Christian Spuck seine letzte abendfüllende Choreografie für das Ballett Zürich.
Ein Déjà-vu: Wer auf der Bühne des Opernhauses die schiefergrauen Wände von Rufus Didwiszus erblickt, erkennt sie, weil er sie vorgängig schon einmal gesehen hat: in Christian Spucks Balletten «Winterreise» oder «Das Mädchen mit den Schwefelhölzern». Für den Zürcher Ballettdirektor bedeuten Wände viel: an ihnen lässt es sich rasch oder langsam entlanggehen; an sie kann man aber auch – wie jetzt – einen im Kampf blutig besiegten Menschen pressen, um ihn dem Tod anheimzugeben.
Diese Szene zu Claudio Monteverdis dramatischer Erzählung «Il combattimento di Tancredi e Clorinda» steht zentral innerhalb eines nicht handlungsgetriebenen, sondern fragmentarischen Abends. Die Scheu vor einem Meister wie Monteverdi und dessen, vorwiegend aus dem Achten Madrigalbuch stammenden Stücken, begleitet Christian Spucks jüngste Choreografie wie ein Subtext. Dementsprechend behutsam ist die Annäherung an Monteverdi und einige Zeitgenossen. Behutsamkeit ist angebracht, weil Musik und Text von gebrochenen Herzen, Verlassensein und Vereinsamung sprechen – von Themen, die umtreiben.
Wie erzählt Spuck das? Indem er eben nicht die Tänzerinnen und Tänzer, sondern die Sängerinnen und Sänger erzählen lässt. Ihnen, den üppigen Opernstimmen muss man genauestens zuhören, um zu erfassen, was sich bei den Tanzenden in schlängelnden und kreisenden Bewegungen, in fliessenden Hebefiguren bei Zweierbegegnungen oder im Händespiel einer Gruppe abspielt. Spuck verdoppelt das Gesungene nie durch den Tanz; er erfindet vielmehr eine eigene, abstrakte Tanzsprache, die sich individuell lesen lässt. Zeit ist ein weiteres Merkmal dieser Produktion, die sich als Gesang, Tanz und instrumentale Teile vereinendes Musiktheater versteht. Zeit nehmen sich die von Emma Ryott dunkel eingekleideten Tänzer schon zu Beginn. Da betreten sie zögernd eine Piazza, auf dem sich Stühle, eine geharnischte Figur (das «Combattimento» kündet sich an) sowie ein Tonbandgerät befinden, dessen Taste stets dann gedrückt wird, wenn eine Zäsur nötig ist. Ganz leise dringt ein italienischer Schlager wie etwa Adriano Celentanos «Azurro» an unsere Ohren. Doch mit der Unbeschwertheit ist es nicht weit her. Verblüffend, dass sich ausgerechnet Schlager als Fortschreibende von Monteverdis Melancholie erweisen.
Wie beredt der Komponist dieser Ausdruck verleiht, wird im Orchestergraben verdeutlicht. Hier kesselt und brodelt es; werden hauchzarte Kantilenen gesponnen; wird akzentuiert und geschärft, dass es eine Lust ist. Das Orchestra La Scintilla und der Dirigent Riccardo Minasi ziehen die Register so, dass es einen durchschüttelt. Wunderbar, dass Minasi auf die glutvollen Opernstimmen von Lauren Fagan, Louise Kemény, Siena Licht Miller; Aryeh Nussbaum Cohen, Edgaras Montvidas, Anthony Gregory und Brent Michael Smith vertraut. Sie sind das Salz und Pfeffer einer Inszenierung, die die Genannten als mitgestaltende Akteure eines elegischen Tanzgeschehens einsetzt. Das tut einer Inszenierung gut, die konsequent auf Innerlichkeit setzt. Ob dabei das Können des Balletts Zürich vergessen geht? Nein. Nur, wer derart hochklassig ist wie dieses, vermag Monteverdi so zu tanzen: als Christian Spucks persönlichste, intimste Choreografie. Für den Ballettdirektor ist es das letzte, abendfüllende Werk für dieses Ensemble. 2023/24 wird Spuck Intendant des Staatsballetts Berlin. Die Träne quillt.
Opernhaus Zürich 19., 22., 23., 27., 29. Januar, 4., 6., 10., 12., 20., 26. Februar.