Schwindelerregende Vielfalt

Am heutigen Tag des Schweizer Bieres präsentiert sich die Schweizer Bierszene so vielfältig wie nie zuvor. 24 Jahre nach dem Zerfall des Bierkartells wird an 512 Braustätten gebraut. Ein neuer Führer erweist dieser Vielfalt die Reverenz.

Beda Hanimann
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«Mirau» sei die meistgetrunkene Biersorte, so lautete einst eine spöttische Bemerkung über den Einheitsgeschmack des Schweizer Bieres: Der erste einer Tischrunde bestellte eine Stange, bei den andern hiess es nur noch: «Mirau». Lager und Spez sind nach wie vor die häufigste Wahl, das wird auch so bleiben. Doch inzwischen gibt es Alternativen zuhauf, was angesichts der jüngsten Entwicklung nicht überrascht: Beim Zusammenbruch des Kartells im Jahr 1991 war die Schweizer Bierlandschaft mit 32 Brauereien so arm wie nie zuvor. Heute produzieren 512 Braustätten ein Angebot von schwindelerregender Vielfalt.

Hier setzt der Bierführer an, der heute zum Tag des Schweizer Bieres in Zürich präsentiert wird. Ein gutes Dutzend diplomierter Biersommeliers stellt darin 200 Biere aus rund 40 Brauereien vor, vom klassischen Lager bis zum nachtschwarzen Ale mit 7 Prozent Alkoholgehalt. Berücksichtigt wurden Betriebe, deren jährlicher Ausstoss über tausend Hektolitern liegt.

Fokus aufs Bier zum Essen

Im handlichen Führer klingen Töne an, wie man sie bisher nur aus Wein- oder Whiskybroschüren kannte. Da ist von einem opalisierenden Goldgelb die Rede, von einem samtig-cremigen Körper, von einem fruchtigen Aromenkomplex, einer deutlichen, leicht rauchigen Süsse im Antrunk und einem milden, süsslichen und wärmenden Abgang.

Neu ist auch der Fokus auf das Bier als Essensbegleiter. Das Stadtbühler Fürstenbräu wird zu gebratenem Fisch empfohlen, das Schützengarten Landbier zu Geflügel und Crevettencocktails, das India Pale Ale der Sudwerk Brauerei zu Blauschimmelkäse oder ein Ittinger Klosterbräu zu Haselnusscake, Apfelstrudel und Brownies.

Dieser neue Aspekt des Biergenusses ist ganz im Sinne des Schweizer Brauerei-Verbandes, der im Vorfeld des Biertages von der Spitzenköchin Meta Hiltebrand und dem Biersommelier-Schweizer-Meister Roger Brügger ein Menu kreieren liess – mit prominenter Ostschweizer Beteiligung: Zur Entenleber-Crème-brulée mit einem Chutney von Khaki und Dörrfeigen empfiehlt Brügger das Gallus 612 von Schützengarten, zur Mokkacrème mit Tuna-Tataki an Vanille-Biersauce auf karamellisiertem Chicorée das dunkle Lager von Stadtbühl.

Jedes Jahr neu

«Es wäre schön, wenn der Kombination von Speisen und Bier mehr Beachtung geschenkt würde», sagte Marcel Kreber vom Brauerei-Verband jüngst im «Tages-Anzeiger». Die St. Galler Spitzenköchin Vreni Giger doppelte nach: Sie sei der festen Überzeugung, dass die Kombinationsmöglichkeiten noch viel zu wenig ausgeschöpft würden. Dass das so sei, erklärte der Zürcher Koch Fabian Fuchs mit einem grundsätzlichen Vorbehalt. Es wäre schlichtweg zu sättigend, zu jedem Gang ein anderes Bier zu trinken, sagte er.

Auf der Suche nach der richtigen Balance will der neue Führer zum unentbehrlichen Helfer werden. Er verteilt keine Noten, beschreibt aber Geruchs- und Geschmacksintensität, Charakter und Kombinationsmöglichkeiten und verweist auf Bezugsquellen. Künftig soll er jährlich zum Tag des Bieres neu aufgelegt werden. Vielleicht findet sich bis zur zweiten Auflage gar ein etwas knackigerer Titel, der dem Anspruch eines Standardwerks eher gerecht wird. «Der Gambrinus» etwa, das klingt doch erst nach unverzichtbarer Instanz.

Robert Conrad: Schweizer Biere 2015/2016, Werd Verlag 2015, 302 S., Fr. 29.–