Interview
Schauspielstar Philippe Graber: «Ich kann es überhaupt nicht ertragen, blind Befehle auszuführen»

«Moskau Einfach!»-Hauptdarsteller Philippe Graber mag abgründigen Humor.

Interview: Regina Grüter und Kelly Spielmann
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Polizist Viktor Schuler (Philippe Graber) observiert das Theatermilieu.

Polizist Viktor Schuler (Philippe Graber) observiert das Theatermilieu.

Bild: Vinca Film

Der Schweizer Schauspieler Philippe Graber spielt in der Komödie «Moskau Einfach!» von Micha Lewinsky die Hauptrolle. Als Polizist ermittelt er während der Fichenaffäre von 1989 undercover in der «subversiven» Theaterszene des Zürcher Schauspielhauses. «Moskau Einfach!» wird nächsten Mittwoch die Solothurner Filmtage eröffnen.

Sie waren 1989 erst 14. Haben Sie eigene Erinnerungen an die ­Fichenaffäre?

Philippe Graber: Ich kann mich erinnern, dass die Zeitungen darüber berichtet haben. Meine Kollegen und ich haben kurz darüber gesprochen. Aber ich war in dieser Zeit noch nicht am politischen Geschehen interessiert. Auch in der Familie war das kein Thema. Es hat uns nicht tangiert.

Wie haben Sie sich auf die Rolle vorbereitet?

Ich habe Artikel gelesen und durfte einen Tag mit Willy Schaffner ver­bringen, der damals Polizist war und sich als Spitzel in die Zürcher Jugend­bewegung einschleuste. Im ­Vorfeld der Dreharbeiten hat er mich zu sich und seiner Frau nach Hause eingeladen. Er hat von seinen Er­fahrungen erzählt und mir Dokumente gezeigt. Das war sehr spannend. Ich war auch einen Tag mit der Stadtpolizei Bülach auf Streife, um ein ­Gefühl für den Polizistenalltag zu bekommen.

Die Fichenaffäre ist 30 Jahre her. Was bringt der Rückblick in die Vergangenheit? Gibt es keine aktuelleren Themen, die man ­behandeln könnte oder sollte?

Natürlich gibt es immer wieder aktuelle ­Themen, die man behandeln kann. Man sollte aber nicht das eine gegen das andere ausspielen. Ich finde es wirklich interessant, sich in Erinnerung zu rufen, wie ein Staatsapparat auf einmal tut, was er will. Damals wurde dis­kutiert, was die Polizei darf, was sie nicht darf, was sie dürfen soll. Das kann man sich selbstverständlich auch heute fragen. Es ist aber nicht mehr nur die Polizei, viel mehr wissen wahrscheinlich Handyanbieter oder Suchmaschinen. Ich ­finde es gut, dass der Film auch Fragen von heute, zur Überwachung, aufwirft.

Zur Person

Philippe Graber – Schauspieler

Philippe Graber – Schauspieler

Für die Hauptrolle in Micha Lewinskys «Der Freund» wurde Philippe Graber 2008 mit dem Schweizer Filmpreis als bestes schauspielerisches Nachwuchstalent ausgezeichnet. Er spielte in Schweizer Filmen mit, darunter «Die Standesbeamtin», «Papa Moll» oder «Der Flitzer». Hinzu kamen Auftritte in TV-Serien wie «Wilder» (1. Staffel) und «Der Bestatter». Mit seinem Soloprogramm «Late Night» tritt er regelmässig im Zürcher Club «Helsinki» auf. 1975 in Luzern geboren, lebt Philippe Graber heute mit seiner Familie in Zürich. (reg)

Wie gehen Sie mit persönlichen Daten um? Hat sich durch den Film etwas daran verändert?

Nein. Ich bin bewusst nicht auf sozialen Netzwerken aktiv und achte darauf, dass private Dinge nicht an die Öffentlichkeit gelangen. Ich habe immer Wert darauf gelegt, kein komplett öffentlicher Mensch zu sein – mir ist Privatsphäre sehr wichtig. Natürlich ist mein Einfluss begrenzt. Ich nutze ja auch das Internet, schreibe Mails und telefoniere.

In Ihrer Rolle als Spitzel führen Sie erst Befehle aus und lehnen sich später dagegen auf. Wie würden Sie persönlich mit einer solchen Situation umgehen?

Ich habe grosse Schwierigkeiten mit Autorität, wenn ich sie als solche nicht anerkenne. Das begann schon in der Schule und in der Pfadi. Ich war auch einmal im Militär, aber habe dort schnell wieder einen Abgang gemacht. Ich kann es überhaupt nicht ertragen, blind Befehle auszuführen. Vielleicht habe ich mir deswegen einen Beruf ausgesucht, in dem die Zusammenarbeit ­anders funktioniert.

Es ist bereits Ihre zweite Hauptrolle in einem Film von Micha Lewinsky. Wie kam es zu der Zusammenarbeit?

Ich habe in einem anderen Zusammenhang mit ihm telefoniert, wobei er mir zufällig von seinem neuen Film erzählte. Ich fragte ihn sofort, ob er eine Rolle für mich hätte, und er meinte, dass vielleicht die Hauptrolle zu mir passen würde. Als ich das Buch gelesen hatte, wusste ich, dass das meine Rolle ist. Ich habe die Figur sofort verstanden und gefühlt, dass sie mir liegt. Ich ging ans Casting, und es hat geklappt. Die Zusammenarbeit mit ihm ist hervorragend. Er ist sehr genau, ruhig und einfühlsam. Er ist am Austausch mit den Schauspielern interessiert und weiss trotzdem, was er will.

Sie haben die Rolle des unauffälligen Durchschnittstypen erhalten. Ist das für Sie keine Beleidigung?

Nein, meine Figur macht ja im Film eine Entwicklung durch. Ausserdem will man so viele unterschiedliche Rollen wie möglich spielen. Ich würde auch einen obdachlosen Junkie spielen, das wäre auch keine Beleidigung.

Was gefällt Ihnen an den Komödien von Micha Lewinsky?

Ich finde, er hat etwas, das recht selten ist: einen feinen Humor, der sehr genau die Figuren beschreibt, aber nie aufgesetzt wirkt. Jede Figur hat ihre Momente.

Wie stehen Sie generell zu ­Schweizer Komödien?

Was ich ein wenig vermisse, ist der ganz bittere, schwarze Humor. Es darf auch mal dorthin gehen, wo es grenzwertig wird. In meinem eigenen ­aktuellen Bühnenprogramm «Late Night» im Zürcher Club «Helsinki» ist das mein Ziel: Ich will die oberste und die unterste Schublade öffnen, mag einen intellektuellen Überbau, um dann bis an die Schmerzgrenze zu gehen. Was den Schweizer Film betrifft, habe ich also Sehnsucht nach mehr Trash. Einen solchen Film würde ich schauen oder darin mitspielen wollen.

Ist der Schweizer Film also zu brav?

Das kann man nicht generell sagen. Es gibt Beispiele, die das Gegenteil zeigen. Aber ja, etwas mehr Mut und auch mehr Genres würden guttun. Niemand macht beispielsweise Science Fiction, es gibt ganz wenig Fantasy oder Zukunftsvisionen. Klar, die Budgets sind bei uns kleiner, aber man kann auch mit wenig Geld etwas Tolles machen. Wenn junge Leute etwas versuchen, finde ich das super. Ich hatte eine kleine Rolle in Natascha Bellers «Die fruchtbaren Jahre sind vorbei». Den Film hat sie allein durch Crowdfunding finanziert. Solche Sachen finde ich cool, da macht man auch ohne Bezahlung mit.

Auch die linke Theaterszene bekommt in «Moskau Einfach!» ihr Fett weg. Wie stehen Sie dazu?

Genau, es ist nicht auf der einen Seite das gute linke Theater und auf der anderen der böse Polizeiapparat. In der Theaterszene gibt es viel Eitelkeit, Machtgelüste und Ellbögeleien. Es ist keine heile Welt, in der sich alle mögen – aber das ist in Ordnung. Es darf gestritten und gekämpft werden in der Kunst. Dass das Theater sein Fett wegbekommt, finde ich gut.

Soll der Film unterhalten oder zum Nachdenken anregen?

Im Idealfall beides. Aber letztendlich ist es eine Komödie mit einer schönen Geschichte. Die muss man nicht zu etwas Grösserem machen, als sie ist. Es geht um die einzelnen Figuren und ihre Erfahrungen, um Herzschmerz. Nicht jeder Film muss ein kurdisches Flüchtlingsdrama sein.