Richard Strauss hat mit Salome ein berühmt-berüchtigtes Kapitel Operngeschichte geschrieben. Das enorm erfolgreiche Stück wird in St. Gallen auch regelmässig aufgeführt. Am 5. Mai ist es wieder so weit. Wir begleiten die Produktion von A bis Z – und sind in der ersten Folge bei der Bauprobe dabei. Rolf App
Ein rundes Dutzend Leute sind es, die vor der Bühne stehen. Techniker, Bühnenmeister, Dramaturgin, Regieassistent, Inspizientin – all die guten Geister, die eine Inszenierung vorbereiten und den Abend fahren. Von denen man dann aber keinen einzigen auf der Bühne wird erblicken können.
Links das Modell mit ausgeschnittenem Rund und dahinterplazierter, nach vorn und zur Seite hin schräger Spielfläche. So soll es werden. Doch geht das auch? Am Boden der Plan. Ansicht, Aufsicht. Auf dem Deckblatt steht zu lesen: Salome. Bühnenbild: Vincent Lemaire. Regie: Vincent Boussard. Premiere: 5.Mai 2012.
Mehr als drei Monate noch. Viel Zeit – aber auch viel Arbeit für das berühmt-berüchtigte Stück. Von dem, nach der Premiere im Jahr 1905, der deutsche Kaiser Wilhelm II. sagte: «Es tut mir leid, dass Strauss diese Salome komponiert hat, ich habe ihn sonst sehr gern, aber er wird sich damit furchtbar schaden.» Was der ausserordentliche geschäftstüchtige Komponist erwiderte: «Von diesem Schaden konnte ich mir die Garmischer Villa bauen!»
Auf der St. Galler Bühne hat Vincent Boussard noch nichts zu suchen. Der Regisseur ist in Paris, wo er, wie Operndirektor Peter Heilker erzählt, mit der Hauptdarstellerin Alexandrina Pendatchanska schon eifrig konferiert. Aber Vincent Lemaire ist da, der Bühnenbildner, klein und schmal. Man spricht englisch mit ihm, manchmal auch französisch. Vor allem einer: Georges Hanimann, der technische Leiter.
Bauprobe nennt sich die Zusammenkunft, eine Spezialität des deutschsprachigen Theaters. Mit einfachen Materialien wird ein Bühnenbild imitiert. Man prüft, ob sich die Schauspieler auf der gezeichneten Fläche auch bewegen können. Man geht durch die Sitzreihen. Schaut, wie sich das Ganze aus diesem oder jenem Winkel dem Publikum darbieten wird. «Here it's quite limited», sagt Heilker. Lemaires Antwort ist nicht zu verstehen.
Das Bühnenbild ist schön, ohne Zweifel. Es wird keine «fleischerne Grotte» werden wie 1976, als Wolfgang Zörner mit viel nacktem Fleisch das Stück inszeniert hat zu Zeiten, als man sich über so etwas noch aufgeregt hat. Es wird mehr ein Raum sein, in dem sich das Drama um die Prinzessin Salome, den lüsternen König Herodes und den Propheten Jochanaan abspielen soll. Ein filigraner hoher Metallzaun wird ihn umgrenzen, Salome wird reduziert aufs Wesentliche. Auf Mord, Inzest, Erotik. Kein freundliches Stück Operngeschichte. Aber ein sehr aufregendes.
Doch darum geht es heute nicht. Noch nicht. Das Guckloch des kleinen Modells findet sich auf der Bühne wieder, sieben Meter im Durchmesser. Die erste Debatte dreht sich um die Frage, wie man den runden Karton – der den bleichen Mond darstellt – nach oben und zur Seite bringt zu Beginn des Stücks.
Dieser Mond soll einen Bogen beschreiben, doch da wird die Stange wackeln, an der er hängt. Also ihn einfach senkrecht in die Höhe ziehen? Das würde der Eröffnung natürlich einiges von ihrem Charme nehmen. Lemaire schaut skeptisch drein.
Heilker und Hanimann sind auf die Spielfläche geklettert, die auf einem Unterbau ruht und noch sehr provisorisch von Stahlseilen in der Schräge gehalten wird. «Nein, das geht nicht», sagt Heilker, «so kann man unmöglich mehr als anderthalb Stunden singen.» Er ist nicht schwindelfrei. Und er hat seine Erfahrungen mit solchen Fragen. In München hätten sie einmal Bellinis «Norma» inszeniert – und in die schräge Spielfläche horizontale Standflächen einbauen müssen. «Wir haben sie Sängerinseln genannt.»
Lange Debatten entspannen sich. Lemaire steht mal mittendrin, mal setzt er sich in die vorderste Reihe, um das Ganze aus der Ferne zu prüfen. Schnüre werden gespannt, Kreide markiert den Punkt, auf den herunter die hintere Ecke abgesenkt werden soll. Ausserdem muss der Winkel des Ganzen mehr nach rechts verschoben werden. Wände wackeln, die Bühnenarbeiter machen sich ans Werk. Bis alles stimmt, dauert es eine ganze Weile. «Jetzt fixieren», sagt Heilker am Schluss.
Letzte grosse Frage: das Gitter an den Seiten. Georges Hanimann kommt mit zwei Mustern daher. Unterschiedliche Materialien, unterschiedliche Maschengrösse. Vincent Lemaire betastet sie, überlegt, entscheidet sich. Wie hoch soll es werden? Möglichst hoch, meint Lemaire. «Das ist eine Kostenfrage», sagt Hanimann. «Wir müssen uns überlegen, was wir uns noch leisten können.»
Die Kasse muss stimmen, das Budget eingehalten werden. Verantwortlich ist Peter Heilker, der von der Oper sagt: «Es ist ein Stück, das eine unglaubliche Kraft entfaltet.» Und das von allen Beteiligten eine enorme Anstrengung erfordert. Vom grossen Orchester, das Modestas Pitrenas aus Riga leiten wird, den Heilker als «Klangzauberer» beschreibt. Von den Sängerinnen und Sängern. Von Andreas Conrad, der den Herodes singt. Von Gabriele Schnaut als Herodias. Von Martin Gantner als Jochanaan. Und, natürlich, von Alexandrina Pendatchanska, einer auf vielen Bühnen erprobten Sängerin, deren Wunsch es war, die «Salome» zu singen.
Richard Strauss hat mit seinem Werk nicht nur den Kaiser überrascht, sondern die musikalische Welt insgesamt. Die Salome ist, wie sein Biograph Matthew Boyden anmerkt, «eines der fünf oder sechs grössten Werke der Opernkunst des 20. Jahrhunderts und Strauss' beständigster Beitrag zur Musikgeschichte». Es sei, sagt Heilker, ein zeitloses Stück, das in die dunklen Tiefen des Menschen leuchtet. Und einer dekadenten Gesellschaft, die der unsrigen vielleicht nicht allzu fern ist.