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Kultur
An einem Podium zu den Raubkunst-Skulpturen im Historischen und Völkerkundemuseum St.Gallen wurde bekannt: Ein Brief ins Herkunftsland soll Bewegung in die Sache bringen.
Eine überraschende Neuigkeit gab es am Schluss des Podiums: Der Stiftungsrat des Historischen und Völkerkundemuseums St.Gallen will nun wegen zwei der sogenannten Benin-Bronzen die Initiative ergreifen. Der Gedenkkopf und die Reliefplatte gehören zu den «Highlights» der Völkerkunde-Sammlung, gelten aber als Raubkunst aus einem britischen Kriegszug. Sollen sie deshalb zurückgegeben werden?
Das Museum hat bisher zwar transparent über sie informiert, wollte aber bisher nur auf eine Rückgabeforderung reagieren. Jetzt will der Stiftungsrat mit einem Brief ins Herkunftsland der Skulpturen Bewegung in die Sache bringen, wie dessen Präsident Arno Noger am Sonntag erklärte. «Mal sehen, was dabei herauskommt.»
Wer der Adressat des Briefs sein wird, muss noch geklärt werden. Das frühere Königreich Benin liegt im heutigen Nigeria; in der Millionen-Metropole Benin-Stadt gibt es ein Nationalmuseum.
Das Podium unter dem Titel «Die Benin-Bronzen sind nur der Anfang – Eine postkoloniale Debatte» fand im Museum in nächster Nähe zu den zwei Skulpturen statt. Der Historiker und Kolonialismusexperte Hans Fässler erinnerte zunächst daran, dass die Debatte um koloniale Raubkunst und deren Rückgabe 2017 von Frankreichs Präsident Macron angestossen worden war. Der von ihm dazu veranlasste Bericht habe «gigantische Zahlen» zu Tage gefördert.
Allein in den Nationalsammlungen Frankreichs lägen um 75'000 afrikanische Objekte. Experten schätzen, dass sich rund 90 Prozent des afrikanischen Kulturerbes ausserhalb des Kontinents befinden; auch in der Schweiz könnten es Hunderttausende Objekte sein. Fässlers Haltung:
«Die Benin-Bronzen müssen zurückgegeben werden, ob nun eine Rückforderung eingeht oder nicht.»
Kulturmacher Richard Butz, der sechs Jahre in Westafrika gelebt hat, machte den Bewusstseinswandel bei diesem Thema an einem eigenen Beispiel deutlich. Vor 40 Jahren kaufte er dort eine Maske, die Kultzwecken diente.
«Ich habe mir damals keine Gedanken gemacht. Heute würde ich sie nicht mehr kaufen.»
Butz kritisiert die «totale Ausbeutung» Afrikas, was auch für die Kultur gelte, wovon «fast alles nicht rechtmässig zu uns gekommen ist». Auch Butz fordert «Restitution und Wiedergutmachung».
«Als Afrikaner, der ich immer noch bin, berührt mich dieses Thema sehr emotional», sagte der aus Nigeria stammende St.Galler Musiker und Komponist Charles Uzor. Das Gefühl der Minderwertigkeit, des Ungenügens, das sich einstelle, wirke wie ein tief liegender Schock, der das ganze Leben umgebe.
Über Picassos kubistische Bilder, über die moderne europäische Kunst habe er erst die afrikanische Kunst entdeckt. «Das hat mich entsetzt und wachgerüttelt.» Die Rückgabe von Kulturgütern an die Herkunftsländer sei eine Grundvoraussetzung für einen wie auch immer gearteten Dialog zwischen hiesigen Museen und jenen Ländern.
«Das Museum sei offen für konstruktive Lösungen und habe dies auch schon bewiesen», sagte Vizedirektor Achim Schäfer. Es stecke aber im Dilemma zwischen dem Auftrag, die Sammlung zu bewahren, und allfälligen Rückgaben oder Forderungen danach. Das Museum habe schon 2010 eine Stelle zur Herkunftsforschung eingerichtet. Schäfer hofft auf eine baldige internationale, mindestens aber schweizerische Regelung.
Fässler nannte das «einen legalistischen Standpunkt» und ein «kolonialistisches Verhalten». Er regte an, das Museum solle von sich aus aktiv werden und einen Brief schreiben. «Oder ich schreibe den Brief halt selbst.» Das muss Fässler aber nun nicht tun. Der Stiftungsrat hat sich die Idee zu eigen gemacht.
Am 13.2.2020 zeigt das Kinok St.Gallen um 18.30 Uhr den Film «Der Geist aus der Ferne» zur Raubkunstdebatte. Anschliessend diskutieren Regisseur Rainer Hoffmann, Historiker Hans Fässler und Restitutionsexperte Achim Schäfer.