Das Schauspiel St.Gallen bringt den Filmklassiker «Sein oder Nichtsein» von Ernst Lubitsch als rasante und berührende Komödie auf die Bühne im Grossen Haus. Das Ensemble darf in die Vollen greifen. Regisseurin Barbara-David Brüesch fügt dem Irrwitz samt Happy-End einen klugen Epilog an.
«Irgendwo auf der Welt gibt’s ein kleines bisschen Glück», singen sie, und Sehnsucht weht durchs Theater. Dabei ist gerade alles schiefgegangen. Die Schauspieler des Polski-Theaters in Warschau proben im August 1939 «Ein Geschenk für Hitler», doch es läuft aus dem Ruder.
Der Hitler-Darsteller antwortet auf die vielen Heil-Hitler-Schreie «Ich heile mich selbst», das gebe einen Lacher, springt ihm ein Kollege bei, der Regisseur flippt aus, morgen sei Premiere, da führt die Diva des Ensembles ihr neues Abendkleid vor, mit dem sie in der Konzentrationslagerszene alle Blicke auf sich ziehen will – Wahnwitz pur. Theater auf dem Theater, herrlich nimmt sich das Genre selber auf die Schippe. Und das ist erst der Anfang.
Das Theater St.Gallen zeigt als erste Premiere im Grossen Haus Nick Whitbys Komödie «Sein oder Nichtsein». Diese lehnt sich eng an den gleichnamigen Filmklassiker von Ernst Lubitsch, mit dem er bereits 1942 mit Witz und Humor den Irrsinn und die Gräuel der Nazis entlarvte und über sie lachen liess. Lubitsch lässt eine polnische Schauspieltruppe in die Kriegswirren geraten, aus eitlen Mimen werden Widerstandskämpfer, die über sich hinauswachsen und mit den Mitteln des Theaters die deutschen Besatzer überrumpeln.
Hausregisseurin Barbara-David Brüesch inszeniert das in St.Gallen als gut geschmierte Komödie. Mit Film-Vorspann und Fanfare wird lustvoll der Lubitsch-Klassiker zitiert. Bühnenbildner Damian Hitz und Kostümbildnerin Heidi Walter versetzen das St.Galler Ensemble in eine stimmige Schwarz-weiss-Welt mit Garderobe und Theaterbühne auf der Drehbühne. Fliegende Ortswechsel werden so auch auf dem Theater möglich.
Die Schauspiel-Truppe des Warschauer Polski-Theaters muss sich plötzlich mit Krieg und Besatzung zurechtfinden. Sie dürfen nicht mehr spielen, hausen im zerbröckelnden Theater und sind mit Überleben beschäftigt, nicht mit Politik. Die bricht mit einem jungen Widerstandkämpfer über sie herein. Ein Spion sei mit einer Namensliste polnischer Widerstandskämpfer unterwegs ins Gestapo-Hauptquartier, darauf auch der Name einer Schauspielerin.
Die Theatertruppe holt Nazi-Kostüme und Bühnenbild aus dem Fundus. In einer aberwitzigen Verwechslungskomödie spielen sie um ihr Leben, überlisten den Spion und die deutschen Nazi-Besatzer. Das gerät in St.Gallen zu Beginn etwas schwerfällig, doch mit fortschreitender Handlung kommt auch die Inszenierung in Schwung.
Bei Barbara-David Brüesch darf das Ensemble in die Vollen greifen. Allen voran Bruno Riedl als selbstverliebter, eitler Josef Tura, der eifersüchtig die Eskapaden seiner Frau überwacht (Diana Dengler wickelt als spröde Diva Maria Tura alle Männer um den Finger), sich als grossen Tragöden empfindet und dann in der Rolle seines Lebens als verkleideter Spion im Gestapo-Hauptquartier über sich hinauswächst.
Fabian Müller erobert als geifender Hitler die Bühne, als wäre er Bruno Ganz. Matthias Albold berührt als schüchterner Nebendarsteller Grünberg und tanzt als schmieriger Sturmführer Erhardt wie Charly Chaplin mit einer Weltkugel.
«Sein oder Nichtsein» ist eine Liebeserklärung ans Theater: mit den Mitteln der Bühne die Welt verbessern. Und klar, es gibt ein Happy-End. Doch Brüesch fügt einen klugen, nachdenklichen Epilog an: Der Truppe ist die Flucht geglückt, aber die Zukunft ist ungewiss. «Irgendwo auf der Welt gibt’s ein kleines bisschen Glück» singen sie leise. Und es klingt wie ein Flucht-Lied.