Bestsellerautor Joël Dicker wurde noch nie an die Literaturtage Solothurn eingeladen. Wie gut bildet das grösste Lesefestival der Schweiz das Literaturjahr ab? Fragen an die Geschäftsleiterin Reina Gehrig.
Am Freitag starten die 41. Literaturtage Solothurn. Geschäftsleiterin Reina Gehrig verteidigt die Auswahl der Autoren.
Die Autoren sehen es als Ritterschlag an, nach Solothurn eingeladen zu werden. Für sie bedeutet es, dass sie zur Schweizer Literatur gehören. Wie sehen Sie das?
Ich nehme das auch wahr. Auch von Autoren, die nicht eingeladen wurden und uns teilweise emotionale Rückmeldungen geben. Wir müssen uns dieser Verantwortung bewusst sein. Und wir können dem nur entgegentreten, indem wir seriös und umfassend lesen und jedem Text eine Chance geben. Milena Moser zum Beispiel war mit ihren letzten Büchern nicht eingeladen. Wir haben ihren neuen Roman gelesen und fanden, aufgrund des Textes, der jetzt vorliegt, möchten wir sie diesmal einladen. Aber es ist nicht so, dass alle, die nicht eingeladen wurden, nicht zur Schweizer Literatur dazugehören. Den Umkehrschluss kann man nicht machen. Dafür haben wir zu wenig Plätze.
Aber es gibt es ein paar Autoren, die immer wieder eingeladen werden, andere nie. Joël Dicker zum Beispiel.
Wir lesen die Bücher immer in der Originalsprache, Joël Dicker also auf Französisch. Bei den Romands haben wir nur wenige Plätze. Diejenigen der Programmkommission, die alle Neuerscheinungen aus der Romandie lesen, entscheiden in erster Linie, wen wir einladen. Aber das heisst nicht, dass Joël Dicker nicht zur Schweizer Literatur dazugehört. Weil das Kontingent der Romandie so eng bemessen ist, ist es einfach schwieriger.
Dicker hat wichtige Preise in Frankreich gewonnen. Wenn er in Solothurn nicht stattfindet, sieht das wie Arroganz ihm gegenüber aus.
Wir wollen überhaupt nicht das Signal geben, wir fänden, er gehöre mit seinen Büchern nicht dazu. Vielleicht ist er mit dem vierten Buch da.
Aber es heisst, die Programmkommission findet, es gebe Besseres.
Sie hat bisher einfach anderes bevorzugt.
Was sind die Qualitätsrichtlinien der Solothurner Literaturtage?
Es gibt keine Richtlinien, die definieren, was ein gutes Buch ist. Es ist wie bei jeder Jurierung. Man liest Texte und muss jeden Text für sich beurteilen. Bei manchen Büchern diskutieren wir sehr lange. Welche Bücher nach Solothurn eingeladen werden, hängt davon ab, wie die Diskussionen ausgehen.
Im Leitbild der Literaturtage steht «Öffentlichkeit für alle Formen von Literatur».
Ja, wir zählen dazu Spoken Word, Prosa, Lyrik und Kinder- und Jugendliteratur. Uns ist auch wichtig, Debüts im Programm zu haben. Aber Krimis laden wir zum Beispiel nicht ein, es sei denn, es wäre ein sehr literarischer Krimi. Wenn man sich das Programm anschaut, sieht man, dass ganz unterschiedliche Texte und Textformen dabei sind.
Im vergangenen Jahr ging die Schreckensnachricht durch die Branche, man habe sechs Millionen Leser verloren. Wäre es da nicht wichtig, mit jemandem wie Joël Dicker, den sehr viele Leute lesen, ein Zeichen zu setzen und zu sagen: Das ist Schweizer Literatur, wir diskutieren das hier?
Seine Popularität ist grossartig. Sie verschafft der Literatur Aufmerksamkeit. Aber Popularität ist für uns kein Kriterium. Würden wir die fünf erfolgreichsten Autoren der Romandie einladen, dann hätte es keinen Platz mehr für Entdeckungen. Es wäre nicht mehr im Geist von Solothurn.
Letztes Jahr war Franz Hohler eingeladen, der fast schon zum Inventar von Solothurn zu gehören scheint. Man kann kaum sagen, sein damaliges Buch «Das Päckchen» sei etwa in der Figurenzeichnung, im Plot oder im Zugriff auf die Gesellschaft besser als die Bücher von Dicker.
Die Programmkommission sah das anders. Zudem gehört Joël Dicker zum Kontingent der Romandie, Franz Hohler gehört zu den deutschsprachigen Autoren. Dort haben wir mehr Plätze und mehr Möglichkeiten. Im letzten Jahr war es besonders schön, ihn hier zu haben. Wir haben ja das 40-Jahr-Jubiläum gefeiert und er ist Gründungsmitglied der Solothurner Literaturtage.
Hinweis
Literaturtage Solothurn, Fr bis So.