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Kultur
Theater in der Kirche? Um ein Altarbild aus dem Jahr 1606? Ja, das funktioniert: Im Kapuzinerkloster Appenzell wird mit Humor, Selbstironie und Liebe zum Detail Geschichte lebendig. Ein Stück «Heimattheater» im besten Sinne - auch für Nicht-Appenzeller.
Da, wo sonst die Lichter immer gelöscht sind, glimmen sie nun in den dunklen Nebel. Erleuchtete Fenster im Kapuzinerkloster Appenzell, die hohe Pforte zum ummauerten Klostergarten steht offen, vor der Klosterpforte flackern Fackeln, auf dem Klosterfriedhof brennen Kerzen.
Es ist ein geschichtsträchtiger Ort, den sich die Theatergesellschaft Appenzell für ihre neue Produktion ausgesucht hat. Und ein verlassener: Nach 425 Jahren war 2011 Schluss mit dem klösterlichen Leben in Appenzell, die letzten Kapuziner verliessen das Kloster, übergaben es an den Kanton. Seitdem ringt man um eine neue Nutzung der historischen Anlage.
Dies ist auch die Ausgangslage des Stücks «Bilder putzen», das Autor Paul Steinmann den Laiendarstellerinnen und -darstellern auf den Leib schrieb – und dem Ort auch. Steinmann ist in Appenzell kein Unbekannter, 2013 wurde sein Festspiel «Der 13. Ort» in Hundwil aufgeführt, zum 500. Jahrestag der Appenzeller Aufnahme in die Eidgenossenschaft.
Für die Theatergesellschaft Appenzell hat Paul Steinmann nun die lange Geschichte des Kapuzinerklosters in ein munteres, ja, Festspiel verwoben. Kein kirchliches Erbauungstheater, auch wenn das Publikum auf den harten Kirchenbänken sitzt, Orgelklänge zu Beginn wie in einem Gottesdienst. Mit Witz und trockener Selbstironie erzählen die über 40 Mitwirkenden – der jüngste 15, der älteste 82 – die Geschichte des Klosters, die eng mit den Appenzellerinnen und Appenzellern verwoben ist.
Man wolle den Kapuzinern Danke sagen für ihr Dasein und Wirken. Zur Premiere sind auch tatsächlich einige Kapuziner angereist. Das könnte nun ein salbungsvolles Kirchenspiel werden, doch die Appenzeller veranstalten einen wilden Ritt durch die Geschichte, verwebt mit den Lebensrealitäten heutiger Menschen. Nonnen und Mönche erzählen auch mal einen Appenzeller Witz, und sowieso kommen Wortspiel und Wortwitz in breitestem Innerrhoder Dialekt nicht zu kurz.
Der Thurgauer Regisseur Jean Grädel hat seine Amateure behutsam angeleitet, mit Spielfreude, Hingabe und Ernsthaftigkeit erzählen sie ihre Geschichte.Untermalt vom Quintett Geschwister Küng, die mit Hackbrett, Bass, Cello und Geigen einen feinfühligen und schmissigen Soundtrack geschrieben haben, so dass der Abend fast zum Konzert wird.
Die Bühne: der ehemalige Altarraum. Im Zentrum des Geschehens: Das Altarbild von Proccacini. Doch bevor man viel über die Historie erfährt, lässt sich das Kloster auf einem theatralen Rundgang erkunden, und Realität und Fiktion vermischen sich auf zauberhafte Weise. Auf dem Friedhof beten zwei Frauen, in der ehemaligen Klosterstube sitzen echte und «falsche» Kaupziner am Tisch, überall in den Zimmern und Gängen überraschen kurze Spielszenen. Ein Stück «Heimattheater» im besten Sinn – auch für nicht-Appenzeller.
«Bilder putzen», Kapuzinerkloster Appenzell, bis 22.11.2019; Infos unter www.tgappenzell.ch