PHOTO 17: Die Pfotenfotografin

Wenn Michelle Aimée Oesch aus Vilters auf den Auslöser drückt, stehen meist Vierbeiner vor der Linse. Für die Serie, die sie ab Freitag in Zürich zeigt, hat sie sich auf Pfoten beschränkt.

Diana Hagmann-Bula
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Maral, Deutsche Dogge, zweieinhalb Jahre alt.

Maral, Deutsche Dogge, zweieinhalb Jahre alt.

Diana Hagmann-Bula

diana.hagmann-bula@tagblatt.ch

Auch Tiere haben Schweissfüsse. Michelle Aimée Oesch weiss das aus Erfahrung. Sie hat die Pfoten von 40 Hunden und Katzen fotografiert – für den Warteraum in der Kleintierklinik der Universität Zürich. «Ich lag mit der Kamera unter einem Glastisch, die Tiere standen darauf. War ihnen zu warm, hat sich zwischen Pfoten und Oberfläche Feuchtigkeit gebildet, die das Bild störte», erzählt die 30-Jährige aus Vilters. Sie brach dann ab, putzte den Tisch und begann von vorne.

Mode, Kairo und Vaters Steine

Babys, Hochzeiten, Akte: Das ist nichts für die Fotografin, die unterdessen in Zürich wohnt. «Ich bin zu introvertiert, um anderen die Unsicherheit vor der Kamera zu nehmen.» Sie probierte es mit Mode, mochte die Arbeit in den grossen Teams zwar, nicht aber die Botschaft, die ihre Aufnahmen vermittelten. «Nämlich, dass man auf eine bestimmte Weise aussehen muss, um akzeptiert zu werden», sagt sie. Ihr selbst sind Kleidertrends unwichtig. Sie trägt nur Schwarz. «Ein Überbleibsel aus der Zeit, als ich in einer Heavy-Metal-Band sang.» Farbe in ihr Erscheinungsbild bringt das hüftlange, gelockte Haar: Hennarot leuchtet es in der Sonne.

Immer wieder reiste Oesch während ihres Studiums an der Zürcher Hochschule der Künste nach Kairo, wo gute Freunde leben. Die Eindrücke im fremden Land verarbeitete sie mit der Kamera. Sie porträtierte etwa «Dream­land», eine eingezäunte Appartementanlage mit pastellfarbenen Villen für Vermögende ausserhalb von Kairo. Und deren Wächter, Einheimische, finanziell deutlich schlechter gestellt. «In diesen Anlagen garantieren eben jene Menschen die Sicherheit der Bewohner, die durch die Zäune ferngehalten werden sollten. Eine bizarre Situation.» Im Ausland sah Michelle Oesch ihre Zukunft dennoch nicht. Als sie für eine Semesterarbeit die Steinsammlung ihres Vaters fotografierte, die stille Arbeit und das systematische Vorgehen ihr zusagten, wusste sie, in welchem Bereich sie eine Stelle suchen wird: in der wissenschaftlichen Fotografie. «Schon als Mädchen haben mich Bilder und Themen im Magazin National Geographic begeistert. Der Tag, an dem das Heft bei uns zu Hause eintraf, war stets ein Freudentag.» Sie recherchierte im Internet, fand heraus, dass die Kleintierklinik in Zürich eine wissenschaftliche Fotografin anstellt, durfte einen Tag lang schnuppern. «Monate später war die Fotografin schwanger und wanderte nach Barcelona aus. Ich wurde ihre Nachfolgerin.»

Die Schönheit eines Giraffenhüftknochens

Seither sind vier Jahre vergangen. Jahre, in denen sie Hunde und Katzen mit Diabetes und Tumoren für Studien fotografierte, Tiere vor und nach einer Operation für Patientenakten, Geräte, die neue Behandlungen ermöglichen. Oder anatomische Präparate, die für den Unterricht nötig sind. «Diesen Teil meiner Arbeit mag ich besonders. Mich fasziniert die Form eines Wirbels einer Giraffe, diese Ästhetik, wie jede Vertiefung und Erhebung eine Funktion hat.»

Stolzierender Spitz, schlafender Welpe

Als Hausfotografin für alle Fälle wird Michelle Oesch auch in die Pathologie gerufen. Oder sie lichtet Mitarbeiter ab, wenn es Zeit ist für neue Porträts. Die Angestellten waren es, die ihre tierischen Begleiter für das Projekt Pfoten zur Verfügung gestellt haben. «Wir wollten nicht mit kranken Vierbeinern arbeiten, die gestresst sind.» Wie bei Vaters Steinen: eine Serie, die zeigt, dass Tierfüsse zwar ähnlich aussehen, aber keineswegs gleich sind. «Sie alle haben ihre eigene Geschichte. Die Krallen älterer Hunde sind lang und spröd, die Pfoten von Welpen hingegen sind so weich gepolstert, dass sie jenen von Katzen ähnlich sehen.»

Beim Fotografieren hat sie zudem festgestellt: Auch bei den Tieren gibt es jene, die gerne im Rampenlicht stehen. Sie denkt an einen Zwergspitz, der für die Zucht vorgesehen ist und mit ausgestreckten Beinen herumstolzierte, kaum hatte sie die Kamera hervorgeholt. Ganz anders reagierte ein vier Wochen altes Hundebaby; nach zwei Minuten Posieren schlief es ein. Und dann war da noch Assja, «ein wunderschöner Viszla». Sollte sich Michelle Aimée Oesch eines Tages doch dazu entscheiden, mit einem Vierbeiner durchs Leben zu gehen, muss es so einer sein.

Die Ausstellung Photo 17, an der mehrere Ostschweizer ausstellen, findet vom 6. bis 10. Januar in der Maag Halle in Zürich statt. www.photo-schweiz.ch

Alice, Europäische Kurzhaarkatze, sechs Jahre alt.

Alice, Europäische Kurzhaarkatze, sechs Jahre alt.

Banksy, Devon Rex, viereinhalb Jahre alt.

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Gimmli, Cockerpoo, 16 Wochen alt. (Bilder: Michelle Oesch)

Gimmli, Cockerpoo, 16 Wochen alt. (Bilder: Michelle Oesch)