«Was mache ich eigentlich mit meinem Leben?» - Thomas Lüchinger folgt in seinem neuen Film dem inneren Ruf

Der St.Galler Filmemacher Thomas Lüchinger hat ganz auf Film gesetzt: Seit fünf Jahren widmet er sich in Vollzeit der Konzeption und Regie seiner Dokfilme. Sein neuster Film beleuchtet Lebenswege und der Frage nach dem inneren Ruf. Ein Thema, das Lüchinger selbst bewegt - und ihm zum Erfolg führte.

Urs-Peter Zwingli
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Thomas Lüchinger arbeitet im Schneideraum an seinem neuen Dokumentarfilm «Paths of Life». Bild: Ralph Ribi (St. Gallen, 18. Juli 2019)

Thomas Lüchinger arbeitet im Schneideraum an seinem neuen Dokumentarfilm «Paths of Life». Bild: Ralph Ribi (St. Gallen, 18. Juli 2019)

Produktionsassistent Samuel Kellenberger stellt dem Filmemacher Thomas Lüchinger einen Ristretto hin. Lüchinger sitzt am Schneidepult seines Studios im St. Galler Heiligkreuz-Quartier und sagt: «Ich bin am Reduzieren. Von täglich sieben Kaffees auf zwei.»

Erfüllt Lüchinger das Klischee des von Koffein getriebenen Künstlers? «Nicht wirklich. Dass ich viel Kaffee trinke, ist ein Überbleibsel aus meiner Zeit als Gestaltungslehrer.» Bis vor fünf Jahren verfolgte der 65-jährige Lüchinger das Filmen und den Lehrerberuf parallel, seither widmet er sich Vollzeit der Konzeption und Regie von Dokumentarfilmen.

Derzeit arbeiten er und Kellenberger an der Fertigstellung des neusten Werks «Paths of Life». Der Film porträtiert vier Menschen, die während krisenhaften Episoden eine neue Richtung im Leben einschlugen: Gefängnisaufenthalte oder der Tod von nahen Menschen brachte sie dazu, sich zu fragen, «was ihr innerer Ruf ist», wie es Lüchinger formuliert.

Er hofft, dass «Paths of Life» an den Solothurner Filmtagen im Januar 2020 gezeigt wird, eine St. Galler Premiere im Kinok ist angedacht.

Das Filmemachen brachte er sich selber bei

Auch Lüchinger, der mit drei Geschwistern in Oberriet im St. Galler Rheintal aufgewachsen ist, erlebte als junger Mann Momente, die ihn auf einen neuen Lebensweg brachten: 1987 lebte er als Kunstmaler dank eines Stipendiums ein Jahr in New York. In der damals von Drogen und Kriminalität geprägten Stadt beobachtete er, wie ein Mensch Suizid beging, ein anderes Mal wurde er Zeuge eines Raubüberfalls.

«Ich habe mich danach gefragt: Was mache ich eigentlich mit meinem Leben?»

Diese Frage führte ihn zum Zen-Buddhismus. Als er an einem Vortrag den buddhistischen Mönch und Autor Thich Nhat Hanh traf, hörte Lüchinger seinen inneren Ruf: «Ich wolle unbedingt einen Film über ihn drehen.» Thich Nhat Hanh lud ihn auf eine Pilgerreise nach Indien ein.

«Ich war ein Autodidakt, kaufte mir eine Kamera und ein Buch übers Filmemachen.»

Mit der Produktion des 1999 veröffentlichten Filmes «Schritte der Achtsamkeit» ging der Familienvater Lüchinger ein finanzielles Risiko ein – dann wurde der Film international ein Erfolg.

Ihn treiben Themen um, die den Zeitgeist beleuchten

«Dass ich meinem inneren Ruf, Filme zu machen, gefolgt bin, hat sich gelohnt», sagt Thomas Lüchinger. Er treffe für seine Arbeit verschiedenste Menschen, die ihn an ihrem Leben teilhaben lassen. Buddistische Meditation praktiziert Lüchinger nicht mehr.

«Ich spaziere täglich mit meinem Hund Cleo durch den Wald. Auch das ist eine Art Meditation», sagt er, der nach langjährigen Aufenthalten in Zürich und Luzern heute im Ausserrhodischen Lustmühle bei Teufen lebt.

Ihn treiben Themen um, die den Zeitgeist beleuchten. In den 1990er-Jahren war es der im Westen aufkommende Buddhismus. 2016 veröffentlichte Lüchinger seinen Dokumentarfilm «Being There – da sein» über Menschen, die in der Palliative Care Sterbende begleiten.

Und diesen Juni filmte er die japanischen Experimentalmusiker und Politaktivisten Toshio und Shizuko Orimo während zweier Wochen in der Stadt Kawasaki. Es sei berührend gewesen, wie sich das betagte Paar ihm gegenüber geöffnet habe. «Man muss zuhören und echtes Interesse zeigen – dann erzählen einem die Menschen unglaublich vieles.»

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