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Ostschweizer Kultur
Die Tänzerinnen der Ostschweizer Kompanie Doxs feierten am Dienstag Premiere ihres Stückes «Mitreden» in der St.Galler Grabenhalle. Der Zuschauer bestimmt, was getanzt wird, und tänzelt dabei selbst auf dem schmalen Grat zwischen Amüsement und Sadismus.
«Verstehst du Tanz?», fragt die Tanzkompanie Doxs auf dem Flyer zur Theaterpremiere des Stücks «Mitreden» in der Grabenhalle. Wenn nicht, verspricht das fünfköpfige Ensemble aus der Ostschweiz, so könne man es heute lernen, wie eine Fremdsprache. Reden und Tanzen, auf den ersten Blick erinnert das an Küssen mit offenen Augen. Braucht es das?
Solle man das Bühnenbild ändern, fragt Carina Neumer zu Beginn des Stücks, wolle das Publikum lieber eine schwarze Kulisse? Neumer erbittet ab jetzt Handzeichen. Die Hände der 35 Premierengäste bleiben unten, die Spielregeln sind klar. Ab jetzt gilt der Wille des Publikums.
Kompaniemitglied Stefanie Olbort beginnt mit dem «kleinen Zwerg»: Eine Bewegungsabfolge, die an einen Sprint, der auf der Stelle ausgeführt wird, erinnert. Lächerlich schaut das aus, da darf man lachen. Mehr noch gelacht wird, als Neumer fragt: «Soll sie schneller tanzen? Oder soll Xenja auch den kleinen Zwerg machen?» Olbort hört gar nicht mehr auf, «den Zwerg zu machen» und so langsam sieht es sehr, sehr anstrengend aus. Doch das Publikum will es so, die gestreckten Hände fordern: «Tanz schneller.» Und dann: «Xenja, mach auch den Zwerg.»
Das ein oder andere irritierte Lachen hier, ein sich fremdschämendes Weggucken dort, als Neumer die Zuschauer vor die Wahl stellt:
«Sind die Figuren im Sommerregen oder umgeben von Kackhaufen?»
Wie auf Knopfdruck tanzen die vier Frauen nun unter imaginären Regentropfen, springen in Pfützen, aalen sich im nicht vorhandenen erfrischenden Nass. Die Kackhaufen wären sicher auch interessant gewesen, entdeckt der Zuschauer sich beim sadistischen inneren Monolog. «Sollen die anderen es Stefanie erschweren oder erleichtern?», fragt die Moderatorin wenige Minuten später. Über die Hälfte der Hände geht in die Höhe. Das Publikum will sie also leiden sehen. Und spätestens mit der Frage «Fallen oder Auseinanderfallen?» stellt sich zwischen den Zeilen auch die Frage: Was tut weniger weh? Wir wollen sie fallen sehen. Ganze vier schmerzhafte Minuten sieht und hört man die Körper auf den nackten Bühnenboden aufklatschen.
Wie der zuvor dargestellte Sommerregen wirkt das einsetzende «It's Raining Men», die Musik, die eine reine Tanzchoreografie einleitet, erlösend. Endlich, endlich tanzen sie einfach. Endlich ist es einfach nur schön. Es ist ein getanzter, warmer Schauer. Die Tänzerinnen verkörpern die Lieder mit jedem beweglichen Glied, greifen Stimmung wie Text von Princes «Kiss» genauso auf wie Manu Chaos «Bongo Bong». Bleibt so, bleibt so, will der Publikumsdompteur rufen.
Ein Tanzstück zum Teilhaben und Teilnehmen, zum Mitreden. Ein Tanzstück zum Reinpfuschen. So endet «Mitreden – ein visuelles und emotionales Tanzerlebnis» auch als ein Stück, das an die Autonomie der Künstlerinnen erinnert: Kontrolle ist gut, Tanzen aber ist ohne viel, viel besser.
Doxs – Tanzkompanie aus der Ostschweiz