SOMMERTHEATER
Brisantes Thema im Musicalgewand: «Die Schweizermacher», der erfolgreichste Schweizer Film aller Zeiten, kommt nach Kreuzlingen

Über eine Million Menschen haben 1978/79 «Die Schweizermacher» im Kino gesehen. Darunter auch Leopold Huber und Astrid Keller. Die Intendanten des See-Burgtheaters erlebten dort ihr erstes Date. Dies ist aber nur einer der Gründe, die Einbürgerungssatire auf der Kreuzlinger Seebühne neu zu inszenieren.

Viola Priss
Drucken
Kleine Bühne, grosses Stück: Regisseur und Intendant Leopold Huber, Co-Intendantin und Schauspielerin Astrid Keller sowie der Bühnenbildner Damian Hitz halten das Modell zum Sommerstück «Die Schweizermacher» in den Händen (von rechts nach links).

Kleine Bühne, grosses Stück: Regisseur und Intendant Leopold Huber, Co-Intendantin und Schauspielerin Astrid Keller sowie der Bühnenbildner Damian Hitz halten das Modell zum Sommerstück «Die Schweizermacher» in den Händen (von rechts nach links).

Bild: See-Burgtheater

Leopold Huber grüsst mit Ellenbogen und nimmt den Hut, sein Markenzeichen, zu Beginn der Pressekonferenz ab. Der Intendant und Regisseur des See-Burgtheaters Kreuzlingen fragt in die Runde: «Na, was haben Sie sich gedacht, als Sie hörten, der Huber will die Nummer Eins der Schweizer Filmgeschichte auf der Bühne inszenieren?»

Leopold Huber, Intendant des See-Burgtheaters Kreuzlingen.

Leopold Huber, Intendant des See-Burgtheaters Kreuzlingen.

Bild: Urs Bucher

«Warum der Film? Und warum nochmals als Musical?» lautet denn auch die erste Pressefrage. Das ging ja 2010 in Zürich nicht unbedingt gut. Die Besucherzahlen waren bescheiden, als Stefan Huber den Film in der Maag Music Hall erstmals als Musicals inszenierte. Leopold Huber schreckt das nicht:

«Der Film verfolgt mich seit über 40 Jahren. Ich musste das einfach machen.»

Ein Blick über die Schulter zu seiner Frau, Astrid Keller, Mitintendantin und Darstellerin, ein verschwörerisches Lächeln. Die beiden lernten sich 1978 an der Schauspielschule kennen, als der Film gerade in die Kinos kam.

«Als ich Astrid zum ersten Mal in St.Gallen besuchte, gingen wir direkt ins Kino, ‹Die Schweizermacher› anschauen.»
Astrid Keller, Hauptdarstellerin und Mitintendantin des See-Burgtheaters Kreuzlingen.

Astrid Keller, Hauptdarstellerin und Mitintendantin des See-Burgtheaters Kreuzlingen.

Bild: Mareycke Frehner

Damals habe er nicht verstehen können, was die Schweizer so amüsiere an dem Film, sagt Huber. Sei die Thematik doch tief im Kern tragisch. Die Geschichte handelt von vier Aspiranten und ihrem steinigen, irrsinnigen und teilweise unbegehbarem Weg hin zum Sehnsuchtsobjekt, dem Schweizer Pass.

Um diesen zu bekommen oder eben nicht zu bekommen, wird jeder Kandidat von den beiden Fremdenpolizisten Max Bodmer und Moritz Fischer bis ins Detail durchleuchtet: Wer kennt jeden Bach des Dorfes mit Namen? Wird am Feierabend heimlich Sake getrunken? Und wie viel Mundart versteht die in der Schweiz geborene Serbin wirklich?

40 Jahre alter Stoff, unveränderte Problematik

Was interessiert uns eine Geschichte von 1978? Die Einbürgerung habe sich verändert, räumt Huber ein: «Die Schwierigkeiten an einen Schweizer Pass zu kommen, haben sich aber nicht geändert.» Deshalb sei das Thema nach wie vor aktuell. Die Kunst bestünde nun darin, dermassen brisanten Stoff in eine komödiantische Form zu packen.

«Keine geile Choreografie und unterhaltsamer Gesang im Vordergrund. Etwas Raues drunter, darauf kommt es an. Der Rest bildet sich von alleine.»

In Zürich habe der Dreck gefehlt, die Tragik. Zu sehr fixiert sei man damals auf das Format «Musical» gewesen. Die Form ist bei ihm zweitrangig, entscheidend sei, mit welchen Texten und Charakteren man sie befülle. Und ausserdem sei nichts komischer als das Unglück.

Die Schweiz als Wohnblock

Ein Wohnblock im 1970er-Jahre-Stil, der Schauplatz des Musicals «Die Schweizermacher» zum Drehen.

Ein Wohnblock im 1970er-Jahre-Stil, der Schauplatz des Musicals «Die Schweizermacher» zum Drehen.

Bild: See-Burgtheater
Damian Hitz, Bühnenbildner des See-Burgtheaters Kreuzlingen.

Damian Hitz, Bühnenbildner des See-Burgtheaters Kreuzlingen.

Bild: See-Burgtheater Kreuzlingen

«Die Schweiz ist ein Wohnblock», sagt Bühnenbildner Damian Hitz vor dem Modell des Bühnenbilds sitzend. Seeweg 4, die exklusivste Adresse des Ortes, so steht es an der Hausfassade. Dreht die Bühnentechnik dann den Block, erklärt er, sehe der Zuschauer zuerst die Wohnung der Starkes. Die Figur des Psychiaters aus Münsterlingen, der sich einbürgern lassen möchte und Schweizerdeutsch büffeln müsse. «Zum Lachen sei das, aber auch ernst. Starke befinde sich im Nirgendwoland, sei kein richtiger Deutscher, aber auch noch kein Schweizer», ergänzt Leopold Huber.

Philippe Frey, musikalischer Leiter des Musicals «Die Schweizermacher.»

Philippe Frey, musikalischer Leiter des Musicals «Die Schweizermacher.»

Bild: See-Burgtheater

Das Treppenhaus ist Wirkort der Musterschweizerin, gespielt von Astrid Keller, Sie beobachtet, wer was tut, welcher Farbe der Kehrichtsack hat und petzt, wann immer möglich. Im unteren Geschoss wohnen eng eingepfercht die weniger betuchten Italiener, die sich darum bemühen, nicht aufzufallen. Denn sei es dies nicht die wichtigste Schweizer Charaktereigenschaft?

Kein Chor wegen Covid

14 Schauspielerinnen und Schauspieler werden auf der Bühne 50 Personen darstellen. Dem Virus und seinen Beschränkungen musste der Chor weichen. Auf die ihm lästige Frage, ob Covid-19 ihm nicht einen Strich durch sein Sommermärchen machen könnte, antwortet der Regisseur mit einer wegwerfenden Handbewegung. Er rechne mit noch besseren Zahlen als im vergangenen Jahr. «Wir haben uns an Shakespeare herangewagt, wieso sollen wir uns nicht an die ‹Schweizermacher› heranwagen?», erwidert Huber und verpackt den Mikrokosmos Schweiz in Modellform behutsam unter dicker Plastikfolie.