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Sie kann nicht nur knifflige Kriminalfälle lösen, sondern auch hintergründig rezitieren und singen – wenn es sein muss kopfunter: Delia Mayer war an der Schlossmediale vor bewegten Bildern von Kuratorin Mirella Weingarten zu erleben.
Sie kann auch live, sogar im Grossformat. Mit dem Sinfonieorchester Luzern war Delia Mayer bereits 2019 im KKL zu erleben: als Star des Abends in der halbszenischen Aufführung von Brecht/Weills «Die sieben Todsünden»; als Sängerin im glitzernd roten Abendkleid. Die meisten aber kennen die zierliche Schauspielerin mit den dunklen krausen Haaren eher als Kommissarin Liz Ritschart aus dem Schweizer «Tatort» – oder, die jüngeren, aus dem Netflix-Mehrteiler «Unorthodox» nach dem Roman von Deborah Feldman.
An der Schlossmediale in Werdenberg war sie jetzt wieder einmal in voller Bühnenpräsenz zu erleben, nach langen bühnenlosen Monaten. Viel Energie hat sich da angestaut; viele leise Töne, die sie schon vorher gern gezupft und angeschlagen hat, sind nun noch feiner und fragiler, doch unter Hochspannung. Umso schöner, dass Mirella Weingarten, künstlerische Leiterin der Schlossmediale, ihr einen Abend in intimem Rahmen auf den Leib inszeniert hat: mit Texten von (natürlich) Brecht, von Botho Strauss und Georg Büchner, Hans Fallada und Peter Bichsel. Auch Pong kommt zu Wort, Sibylle Lewitscharoffs Verrückter, der die Welt neu ordnen will.
Roter Faden des audiovisuellen Literaturkonzerts – in dieser Form eine Miniaturausfertigung des Festivals als Ganzes – sind Ausschnitte aus Botho Strauss' 1978 uraufgeführtem Stück «Gross und klein»: Monologe einer einsamen, sensiblen Frau, der Welt abhandengekommen wie im berühmten Rückert-Lied, vertont von Gustav Mahler. Das Lied darf nicht fehlen an diesem nachdenklich-aufwühlenden späten Abend im Schloss; doch so wie von Delia Mayer und Fabian Ziegler hat man es noch nie gehört.
Zwar hätte die Schauspielerin durchaus die klassisch ausgebildete Stimme, um es auch mit dem Sinfonieorchester Luzern im KKL zu singen, so wie man es in Vor-Corona-Zeiten irgendwie für selbstverständlich hielt. Aber zum einen passt kein noch so kleines Sinfonieorchester ins zwar nach aussen stattliche, innen aber enge, verwinkelte Schloss. Zum anderen... naja, Sie wissen es. Die Pandemie hat Kunst geschrumpft, auf das gerade Mögliche.
Ein Mahler in Originalbesetzung würde auch dem künstlerischen Konzept Mirella Weingartens widerstreben, denn sie denkt Kunst, Musik, Performance ausgehend vom Schloss und seinen Reizen. Also erklingt das Lied für einmal mit vokalem Understatement, und das Marimbaphon ersetzt die orchestrale Farbenfülle: Man hält den Atem an, die Zeit bleibt wirklich stehen.
Nicht immer bewegt sich Fabian Ziegler, der fabelhafte Thurgauer Percussionist, auf derart leisen Pfoten. In den «Rebonds» von Iannis Xenakis kommen grosse Trommeln und Schlaghölzer kraftvoll zum Einsatz. Bei John Psathas und in Russel Whartons «Metro» zudem Elektronik - und ein schwindelerregendes Video mit Häuserschluchten, wild übereinandergeschichteten Autobahnen: die Welt als wildgewordener urbaner Ameisenhaufen, der Einzelne darin ein verschwindendes Nichts.
Dazwischen singt und rezitiert Delia Mayer Songs von Copland und Eisler, von Purcell und Schumann. Sie ist die Stimme im Kopf des armen Woyzeck, sie kauert und turnt in dem kleinen Bühnenrahmen herum, den Mirella Weingarten mit eigenen, während des Lockdowns entstandenen Zeichnungen und Videos von Wiebke Pöpel bespielt: ein Fenster zur Welt, zur Innenwelt, eine Brücke auch zu den Texten. Berührend der Augenblick, als es nach Fabian Zieglers percussivem Metrogewimmel wieder ganz still wird und sachte: Mondnacht über der Burg, ein brüchiges Idyll, von draussen leises Kuhglockengebimmel, Motorengeräusche. Da war man eine Weile weg vom Weltgetriebe, landet aber wieder sanft auf dem Boden der Gegenwart.