Milena Moser hat soeben ihren neuen Roman «Mehr als ein Leben» veröffentlicht und ist auf Lesetour in der Schweiz. Insgesamt hat die erfolgreiche Schriftstellerin, die in San Francisco lebt, über 20 Bücher geschrieben. Für diese Zeitung hat sie notiert, wie es zu ihren ersten Schreibversuchen kam. Am Montag liest sie in St.Gallen.
«Was tust du denn da?», fragte meine Mutter. Ich sass auf dem Fussboden vor dem Couchtisch und kritzelte ein Blatt Papier voll. Ich war, gemäss Familienlegende, vielleicht drei Jahre alt. «Ich schreibe ein Buch!», verkündete ich. Dabei kannte ich keinen einzigen Buchstaben. Was ich da mit Buntstift aufs Papier kritzelte, waren Wellenlinien und Kreise. In meinem Kopf war aber alles ganz klar.
Sehr zum Leidwesen meiner Mutter, die mich mit künstlerisch wertvollen und inhaltlich progressiven Kinderbüchern versorgte, liebte ich eine Reihe von kitschigen, altmodischen Büchlein aus ihrer eigenen Kindheit: Die Blumen- und Beerengeschichten von Ida Bohatta Morpurgo.
Da trugen pausbäckige kleine Mädchen voluminöse Blütenröckchen, Beerenhüte und Blättterkragen um den Hals. Das wollte ich auch.
Die Beeren lebten ein ereignisreiches Leben: Da warnte die «sehr besorgte Heidelbeere» alle Kinder vor der giftigen Einbeere, die einfach neben ihr stehen blieb, «so sehr ich bitten mag und flehen». Die selbstlose Erdbeere sagte voller Nachsicht zur gefrässigen Ameise: «Euch macht das Essen Freude, mich aber freut das Schenken!» Ja, so moralinsüsslich war der Ton dieser Bücher. Aber warum hatte meine Mutter sie aufbewahrt, wenn sie nicht wollte, dass ich sie anschaute?
Und dann gab es die verträumte Preiselbeere, in der Gott persönlich einen Tropfen Medizin für die «lieben Kinderlein» versteckt hatte. Das interessierte mich besonders. Doch die halbe Seite Text verriet nicht mehr. Da gab es nur eins: Ich musste mir die Geschichte selber erzählen
«Mama», fragte ich also. «Mama, wie buchstabiert man Preiselbeere?» Aussprechen konnte ich das Wort nicht. Aber schreiben wollte ich es.
Milena Moser liest am Montag, 7. März, um 20 Uhr in der Kellerbühne St.Gallen aus ihrem neuen Roman «Mehr als ein Leben». Die Lesung vom 10. März im Bücherladen Marianne Sax ist ausverkauft.