Kommenden Mittwoch liest der Bieler Autor Levin Westermann im Kunstmuseum St.Gallen aus seinem Lyrikband «Bezüglich der Schatten». Für das Buch wurde Westermann mit einem der begehrten Schweizer Literaturpreise ausgezeichnet.
Levin Westermann ist Dichter; er verdichtet Sprache, formt sie, und das nicht nur Satz für Satz; es sind weitreichende Textkompositionen und Zyklen, die er schafft, nichts Beiläufiges. Auch sein Alltag ist um die Sprache herum gebaut, sie steht im Zentrum seines Tuns. In seiner Tagesstruktur setzt er dabei klare Prioritäten: Bücher kaufen, arbeiten, schreiben, leben. Der in Biel ansässige Absolvent des Literaturinstituts und ehemalige Philosophiestudent nimmt die Gedanken anderer auf, spinnt Fäden weiter, verwebt sie zu etwas Neuem. Manche Fremdzitate, sagt er, wandern mitunter von einem Notizbuch zum anderen, bis sie Einzug finden in das eigene Schreiben. Sein neuestes Werk mit dem Titel «Farbe Komma Dunkel» wird von der Kritik hochgelobt. Der 1980 in Meerbusch geborene Levin Westermann lebt in und mit der Sprache. Doch wie kommt die Welt in den kreativen Kopf des Lyrikers?
Levin Westermann, sind Sie eher ein Augen- oder ein Ohrenmensch?
Ich bin ein Ohrenmensch.
Sie haben mal gesagt, dass Sie jeden Tag schreiben. Welche Szenen oder Augenblicke halten Sie fest? Was ist Ihnen wichtig?
Konkrete Szenen halte ich selten fest. Meistens sind es Fragmente. Details einer Beobachtung oder Begegnung. Und ich exzerpiere viel. Wenn ich etwas lese, das mich interessiert, wird es notiert. Ein Gedicht von Victoria Chang; ein Artikel über die Geflügelpest in Niedersachsen; eine Besprechung des Films «House Of Gucci»; ein Interview mit der Autorin Fleur Jaeggy. Da gibt es keinen Filter, keine Rangordnung. Alles gehört zusammen und ist Ausdruck der Welt.
Stimmt die Aussage, dass das Lesen 90 Prozent Ihrer Zeit einnimmt?
90 Prozent der Arbeitszeit, das kommt hin. Ich lese recht viel. Und manchmal versuche ich dann, auch etwas zu schreiben. So geht es wohl vielen Autorinnen und Autoren.
Wie findet man als Lyriker seine eigene Stimme? Und was ist das überhaupt, die eigene Stimme?
Ich weiss nicht, ob ich das beantworten kann. Man findet seine Stimme durch harte Arbeit, würde ich sagen. Es braucht Zeit. Man muss lesen und schreiben und über die Jahre das Gehör schulen, den inneren Sensor kalibrieren. Das hat mit Geduld zu tun. Auch muss man sich treu bleiben und den eigenen Wörtern vertrauen. Denn konstruktive Kritik von aussen ist zwar wichtig, aber man darf sich nicht von jeder fremden Stimme, die einem reinredet, verunsichern lassen. Man muss immer daran denken, dass es eigentlich keine Regeln gibt, dass man für jeden neuen Text seine eigenen Regeln formulieren kann.
In ihren beiden letzten Lyrikbänden verweisen Sie auf Mitschreibende wie die Autorinnen Ilse Aichinger und Louise Glück. Auch erwähnen Sie die britische Acid-Jazz-Band Jamiroquai. Welchen Einfluss haben die Texte dieser Menschen auf Ihr eigenes Werk?
Ohne Autorinnen wie Aichinger oder Glück würde ich nicht schreiben. Zwetajewa, Dickinson, Oppen. Das hat etwas von Wahlverwandtschaft. Man stösst auf die Stimmen, denen man antworten möchte, weil man sich angesprochen fühlt. Literatur ist ja schliesslich ein laufender Dialog zwischen allen Beteiligten. Den Lebenden und den Toten.
Man müsse sich wehren, auch gegen sich selbst, meinte einmal Ilse Aichinger. Ist Ihr eigenes Schreiben ebenfalls eine Art Abwehr? Ein Entgegenstellen?
«Mit den Wörtern konnte ich mich immer wehren gegen die Existenz, gegen die Zumutung, dem Atmen unterworfen sein zu müssen», hat Ilse Aichinger gesagt. «Deshalb halte ich auch die Begabung, es auf der Welt auszuhalten, für das Wichtigste.» Dem ist nichts hinzuzufügen.
Lesung mit Levin Westermann: Mittwoch, 16. Februar, 19.30 Uhr, Kunstmuseum St.Gallen. Veranstalterin ist das Literaturhaus Wyborada. www. wyborada.ch.