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Valentina Minnig und Gernot Wieland gehören zwei unterschiedlichen Generationen an. Doch beide untersuchen in ihrer Kunst Machtstrukturen, Ausgrenzung und Zugehörigkeit, und das Verhältnis unserer Gesellschaft zum Tier. Gernot Wieland in Form von versponnenen Videoarbeiten, Valentina Minnig mit radikal reduzierten Installationen.
Wer die Kunsthalle St.Gallen betritt, sieht sie aus der Perspektive von Wachteln. Der Blick in den Raum wird durch ein weisses Netz gefiltert, das schräg von der Decke zum Boden gespannt ist. Für diese Installation hat Valentina Minnig dasselbe Material verwendet wie für den Stall, den sie für ihre zwölf Wachteln baute. Sie hält sie bei sich zu Hause in Zürich. Anhand eines Tutorials aus dem Internet baute sie aus Schutznetzen für den Gerüstbau und Holzbrettern eine einfache, aber tiergerechte Behausung für ihre Vögel.
Im Gegensatz zu den Wachteln kann der Besucher das angedeutete Gehege, das zu beiden Seiten offen ist, wieder verlassen. Damit ist man schon mitten im Thema der Ausstellung «adult/sensitive». Darin untersucht die 29-jährige Künstlerin die Beziehung zwischen Mensch und Tier und beschäftigt sich mit Ausgrenzung und Zugehörigkeit zu einer Gruppe. Mit ihren reduzierten und sparsam gesetzten Arbeiten fordert Minnig den Betrachtern einiges an Denkarbeit ab.
Während des Lockdowns hat sich Minnig Wachteleier per Post zuschicken lassen. Die Vögel sind geschlüpft und werden nun bald selbst Junge bekommen. Wachteln sind ideale Stadtbewohner: Die Vögel machen im Gegensatz zu Hühnern kaum Lärm. Schwieriger ist es mit der Hundehaltung. Minnig hatte Mühe, für sich und ihre sechsjährige Hündin Gamba, welche die Ausstellung massgeblich inspiriert hat, eine Wohnung zu finden.
Der Mensch definiert die Beziehung zu Tieren und die Umstände, unter welchen sie gehalten werden. Es gibt auch eine damit verbundene Bürokratie: Hunde, die wie Gamba grösser sind als 30 Zentimeter sind, müssen innert drei Jahren 20 Lektionen in einer Hundeschule besuchen, sonst droht eine hohe Geldbusse. Auch Gamba besucht eine Hundeschule: Am liebsten steigt sie dort auf Treppen. Minnig hat deshalb in der Kunsthalle eine Treppe aus Holzbrettern für sie gebaut, die mit Metallwinkeln an der Wand befestigt sind.
Wie alle Werke Minnigs besteht sie aus billigsten Materialien. Die Treppe ist so weit oben positioniert, dass Gamba auf die Menschen nieder schauen kann. Eine Position, die das Machtgefälle zwischen Mensch und Tier für einmal umkehrt. Die Ambivalenz, die in dieser Beziehung liegt, wird im Ausstellungstitel angedeutet: «adult/sensitive» bezieht sich auf das von Gamba bevorzugte Futter und damit auf ein Milliardengeschäft und die Bereitschaft, für das eigene, geliebte Haustier keine Kosten zu scheuen.
Zu den Aufgaben von Hundebesitzern gehört es, die Hinterlassenschaften ihrer Tiere in dafür vorgesehenen Säckchen zu entsorgen. Minnig hat ihre Sammlung von Kotbeuteln aus aller Welt an Schnüre geknüpft und an der Decke befestigt. Die Abfolge ihrer Farben bezieht sich auf die Flaggen der queeren Community. Die Regenbogenfahne ist ebenso vertreten wie jene der bisexuellen Menschen (pink, lila, blau) oder der Nichtbinären (gelb, weiss, violett, schwarz).
Die bunten Girlanden sind zwar hübsch anzusehen, doch wird nicht ganz klar, was Minnig damit aussagen will. Denn während die Säckchen für die Hundehalter mit einer lästigen Pflicht verbunden sind und es den Tieren herzlich egal ist, was mit ihren Ausscheidungen passiert, sind die Flaggen der queeren Community ein positives Symbol für Zugehörigkeit. Die Installation taugt deshalb kaum dazu, den Wert von Tieren in unserer Gesellschaft in Beziehung zu setzen zu den Forderungen nach gleichen Rechten und gegen Diskriminierung der LGBT-Bewegung.
Um Tiere geht es auch bei mehreren Arbeiten Gernot Wielands, der die zweite Ausstellung «Diebstahl und Gesänge» bestreitet. So auch in seiner versponnenen Videoarbeit «Thievery and Songs». Darin vermengt der 52-Jährige Super-8-Filme, Zeichnungen, Aquarelle und Aufnahmen von Plastilinfiguren zu einer abenteuerlichen, filmischen Collage über seine österreichische Herkunft. Es ist keine lineare Geschichte, die einzelnen Elemente sind wie Traumsequenzen aneinandergefügt. Fiktionale und autobiografische Elemente vermengen sich zu einer tragisch-komischen Erzählung voller Absurdität.
Der Erzähler, der in stark österreichisch gefärbtem Englisch spricht, verwandelt sich schon zu Beginn in eine Schnecke. Traumdeutung à la Sigmund Freud wird ebenso thematisiert wie die katholische Prägung und die Bedeutung der Landschaft im kollektiven Unbewussten Österreichs. Dessen verdrängte Geschichte greift Wieland auf, indem er von der jüdischen Tänzerin Hilde Holger erzählt, die nach dem Anschluss Österreichs an das Dritte Reich nach Bombay fliehen musste. Auch als Bremer Stadtmusikanten verkleidete Schauspieler treten auf. Sie suchen sich Hilfe beim Psychotherapeuten und engagieren sich in der Occupy- Wallstreet-Bewegung.
Auch in Wielands Video «Ink in Milk» taucht man ab in Erinnerungen, ins individuelle und kollektive Unbewusste, kritisiert werden wiederum gesellschaftliche Machtverhältnisse. Es geht um den Freund des Erzählers, der mit elf Jahren geschminkt zur Schule kam und dafür von der Lehrerin blossgestellt und ausgegrenzt wurde. Später landet er in der Psychiatrie.
Auch ein Onkel kommt vor, der die Bewohner seines Dorfes davon überzeugt, ihre Ängste zu lindern, indem sie die geometrische Struktur von Kristallen nachahmen. Sie widmen sich der Bekämpfung ihrer Ängste derart intensiv, dass sie aufhören zu arbeiten. Die Kühe laufen davon und die Natur nimmt Überhand. Die zwölf Ängste werden ausserdem in einer Fotoserie in Form von Konstruktionen aus Holzstäbchen dargestellt: Darunter ist die Angst vor Freude, die Angst vor dem Versuch, das Schweigen zu brechen, oder die Angst vor Erinnerungen.
In der neusten Arbeit, dem 16mm-Film «Square, Circle, Square», dokumentiert Wieland scheinbar das Resultat einer langjährigen Zusammenarbeit mit einem Vogeltrainer. Dieser hat Vögel angeblich dazu gebracht, im Quadrat oder im Kreis zu fliegen. Mit diesem Film schlägt der Künstler einen direkten Bogen zu den Arbeiten der eine Generation jüngeren Valentina Minnig, indem er wie sie die Beziehung zwischen Mensch und Tier analysiert.
Bis 8. November. Kunst-Häppchen: 22. Oktober, 12.30 Uhr, im Anschluss an eine zehnminütige Führung durch die Ausstellung wird eine kleine Mahlzeit inklusive Getränk offeriert, Kosten: 10.- Fr., Anmeldung: info@k9000.ch / Tel. 071 222 10 14, beschränkte Teilnehmerzahl.