Klassische Musik
Halbe Besetzung, voller Einsatz: Das Kammerorchester St.Gallen trotzt den strengen Einschränkungen für Amateure

Die Konzerte mit vier hochtalentierten jugendlichen Solisten konnte das Kammerorchester St.Gallen dieses Mal nur hinter verschlossenen Türen durchführen, ohne Publikum, ohne Livestream. Dirigent Mathias Kleiböhmer und Co-Präsident Lukas Gugger wollten ein Zeichen setzen: Dafür, dass auch im Verborgenen vieles läuft – und viele sich für die Erhaltung der Kultur in schwierigen Zeiten engagieren.

Bettina Kugler
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Generalprobe mit der 14-jährigen Flötistin Emma Blanke aus Arbon, vorn Dirigent Mathias Kleiböhmer, im Kirchgemeindehaus Lachen – auch das Konzert fand hier statt, hinter verschlossenen Türen.

Generalprobe mit der 14-jährigen Flötistin Emma Blanke aus Arbon, vorn Dirigent Mathias Kleiböhmer, im Kirchgemeindehaus Lachen – auch das Konzert fand hier statt, hinter verschlossenen Türen.

Bild: Michel Canonica

Um 19 Uhr 30 ist Schichtwechsel im Evangelischen Kirchgemeindehaus Lachen. Zuvor stand Joseph Haydn auf dem Programm; seine Sinfonie Nr. 45, zwei Sätze, mit Streichern, Oboen, Hörnern. Allerdings in Schrumpfbesetzung, denn mehr als 15 Musikerinnen und Musiker dürfen derzeit nicht zusammenkommen zu Proben, unabhängig von der Grösse des Raumes. Als semiprofessionelles Ensemble, in dem Amateure und Berufsmusiker zusammenwirken, muss sich das Kammerorchester St. Gallen den nach wie vor geltenden Einschränkungen des BAG für musische Freizeitaktivitäten beugen.

Also bedankt sich Dirigent Mathias Kleiböhmer fürs erste bei den den vier Bläsern; auch fast alle Streicher packen ihre Instrumente ein und machen Platz für die Kolleginnen und Kollegen. Diese haben statt Haydns Nr. 45 – es ist sinnigerweise jene Sinfonie, die im Volksmund «Abschiedssinfonie» heisst, weil im Schlusssatz nach und nach ein Musiker nach dem anderen davonschleicht – Noten eines Cellokonzerts von Carl Stamitz dabei. Ausserdem das schmissig-virtuose, überaus publikumswirksame «Il Pastore Svizzero» für Orchester und Soloflöte. Die Solistin Emma Blanke, vierzehn Jahre alt, Sekundarschülerin aus Arbon, hat sich bereits eingespielt und ist bestens für die Generalprobe vorbereitet. Alles klappt wie am Schnürchen.

Hinter verschlossenen Türen, aber in Konzerttenue

Aussichten, ihr Können vor Publikum zu zeigen, haben die Musikerinnen und Musiker jedoch keine. Auftritte nämlich sind für semiprofessionelle und reine Amateurensembles weiterhin verboten. So wird das Kammerorchester St. Gallen notgedrungen zwei Phantomkonzerte im Kirchgemeindehaus Lachen spielen, hinter verschlossenen Türen, ohne Aufnahme, ohne Livestream, platziert mit viel Abstand. Daran, dass alle ausser den Bläsern durchweg mit Maske musizieren, haben sie sich längst gewöhnt. Es erschwert hin und wieder die Verständigung, doch man arrangiert sich damit.

Platz genug gibt es beim Proben, doch lieber würden die Musiker näher zusammenrücken und mit Schutzkonzept vor Publikum spielen.

Platz genug gibt es beim Proben, doch lieber würden die Musiker näher zusammenrücken und mit Schutzkonzept vor Publikum spielen.

Bild: Michel Canonica

«Sicher, wir hätten die Konzerte auch einfach absagen oder verschieben können», sagt Mathias Kleiböhmer. Ab März konnte in Gruppen zu viert oder fünft geprobt werden, dann kam der nächste Lockerungsschritt. Doch vor 50 Personen auftreten dürfen einstweilen nur reine Profi-Formationen. Lukas Gugger, Bratschist und Co-Präsident des Orchesters, sagt dazu:

«Man merkt, dass die Regierung in Bern kein Interesse an Lockerungen im semiprofessionellen Bereich hat, weil hier Absagen den Bund nichts kosten.»

Umso erfreulicher sei die Unterstützung, die sie von Seiten der regionalen Veranstalter und Sponsoren erfahren hätten. So zahlte etwa die Lesegesellschaft Rehetobel einen Teil der Gage für das abgesagte Muttertagskonzert aus – insbesondere, um das Engagement für die jungen Musikerinnen und Musiker zu honorieren.

Das Händel-Oratorium mit Chor wurde um ein Jahr verschoben

Seit zehn Jahren leitet Mathias Kleiböhmer das Kammerorchester St. Gallen; wie wohl alle Dirigenten und Musiker hat er im vorigen Jahr besonders die Fähigkeit eingeübt, flexibel zu reagieren. Schon das vorausgegangene Projekt des Orchesters, Händels Oratorium «Foundling Hospital» mit dem Vokalensemble Apollon und dem Schauspieler Andrea Zogg als Sprecher, musste coronabedingt auf Eis gelegt werden. Bei den beiden Programmen des Jugendwettbewerbs aber hätte ihm das jedoch ziemlich wehgetan:

Mathias Kleiböhmer, Dirigent des Kammerorchester St. Gallen.

Mathias Kleiböhmer, Dirigent des Kammerorchester St. Gallen.

Archivbild: Coralie Wenger
«Wir können in diesem Fall nicht einfach sagen: Dann machen wir es doch ein Jahr später. Für Jugendliche ist das eine lange Zeit; sie wissen heute noch nicht, wie es bei ihnen bis dahin aussieht und wohin sie ihr Weg führt.»

Bereits zum dritten Mal hat das Orchester im vergangenen Herbst junge Musikerinnen und Musiker aus der Region und darüber hinaus zum Vorspiel eingeladen – um mit den besten anschliessend zwei Konzertprogramme einzustudieren. Es sind dieses Jahr neben der Flötistin Emma Blanke die Cellistin Nathalie Hauser aus Mörschwil, der Fagottist Esteban Umiglia aus Sempach und die Geigerin Moë Dierstein. Die 15-Jährige studiert bereits seit drei Jahren an der Musikhochschule Freiburg. Alle vier seien unglaublich talentiert, sagt Kleiböhmer, das Zusammenwirken sei für beide Seiten enorm bereichernd. Die Generalprobe lässt keine Zweifel daran.

Cellistin Nathalie Hauser spielt sich im Parterre ein für die Generalprobe mit dem Kammerorchester St. Gallen.

Cellistin Nathalie Hauser spielt sich im Parterre ein für die Generalprobe mit dem Kammerorchester St. Gallen.

Bild: Michel Canonica

Zermürbend sei das ewige Hin und Her gewesen, sagt Lukas Gugger: das Umdisponieren und Planen, ohne zu wissen, welche Verordnungen in den folgenden Wochen und Monaten gelten würden. Doch die Begeisterung, die Energie, die sich von Dirigent Mathias Kleiböhmer auf das Orchester überträgt, hat alle stets darin bestärkt, weiterzumachen. Keine halben Sachen, sondern zwei echte Konzerte, zur geplanten Zeit als würdiger Abschluss. In Konzerttenue, mit Lampenfieber und vollem Einsatz.

Ob Kultur, getragen von Laien und Profimusikern, «systemrelevant» sei, diese Frage finden Lukas Gugger und Mathias Kleiböhmer schwer zu beantworten – so lange sie so allgemein gestellt werde. Sieht man dagegen, was die Musik bei Jugendlichen freisetzt, erübrigt sie sich:

«Für alle Systeme, in denen wir uns bewegen, ist die Kultur sehr wohl relevant.»

Weswegen im Programmheft, gedruckt für ein Phantomkonzert, auch schon die nächsten Daten Lust auf Musik machen. Live, mit einem Paar, das zu Piazzolla Tango tanzt, und einem Chor, der Händels Oratorium hoffentlich maskenfrei singen darf: Ein grosses, unverdrossenes Jubilieren und Bewegtsein im Dienst der Kunst.

Geplante Konzertdaten Piazzolla: 5.-7. November 2021, Hallelujah! (Händels Oratorium «Foundling Hospital»): 4./5. Dezember 2021