FESTIVAL
Drei Tage Kammermusik-Intimität mit dem schönsten Pausenblick der Ostschweiz

Dass Kammermusik zu den erfüllendsten, weil so intimen Musikerlebnissen gehört, hat auch die aktuelle Ausgabe des Festivals Kammermusik Bodensee am Wochenende auf dem Ermatinger Lilienberg bewiesen. Die Reihe ist seit 2008 ein Highlight im Thurgauer Musikjahr.

Martin Preisser
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Die Sopranistin Malin Hartelius interpretierte Lieder von Franz Schubert und Louis Spohr.

Die Sopranistin Malin Hartelius interpretierte Lieder von Franz Schubert und Louis Spohr.

Bild: PD/Jorim Jaggi

«Sehnsucht» war das für die Corona-Zeit passende Motto des Eröffnungskonzerts des Festivals. Musik ist eigentlich immer eine Art Sehnsuchtsort, ganz besonders aber im romantischen Lied. «Sehnsucht» hiess ein Lied, das Louis Spohr in seinen «Deutschen Liedern» op. 103 vertont hat. «O die Schranken so eng, und die Welt so weit, fern lockt es und winkt dem verlangenden Sinn, und ich kann nicht hin»: Diese Zeilen wirkten wie ein Kommentar aus der Vergangenheit zur heutigen Zeit der Reisebeschränkungen.

Die Spohr-Lieder mit der schwedischen und in Bern lehrenden Sopranistin Malin Hartelius waren eine Entdeckung. Da ist in der zarten Melancholie ein Schuss mehr Heiterkeit dabei als etwa bei Schubert. Spohrs Tonsprache ist direkt, ganz unmittelbar aufs Wort zugeschnitten, mit spannenden, manchmal eigenwilligen Zugängen und Harmonien. Die Sopranistin gestaltete die vier Lieder konzentriert, geschlossen und intensiv das Wort ausdeutend, feinfühlig mitgetragen von Martin Lucas Staub am Klavier, der das Festival vor dreizehn Jahren gegründet hat und bis heute leitet.

Pausenblick auf dem Ermatinger Lilienberg.

Pausenblick auf dem Ermatinger Lilienberg.

Bild: Martin Preisser

Beim Zyklus Kammermusik Bodensee gab es wiederum nicht nur kammermusikalische Raritäten neben den bekannten musikalischen Zugpferden, sondern wie jedes Jahr auch ein Konzert mit dem Thurgauer Nachwuchs. Ein öffentlicher Meisterkurs für jungen Sängerinnen bei Malin Hartelius rundete das durchdachte Gesamtpaket des Festivals ab.

Junge Musikerinnen musizieren mit den internationalen Profis

Schön war auch, dass das Festival, mit dem Kern des Schweizer Klaviertrios um Martin Lucas Staub, auch junge, aufstrebende Musiker ins Ensemble der internationalen Profis einbezog. So etwa bei Louis Spohrs Liedern, wo die junge Schweizer Klarinettistin Mariana Rüegg ein sehr feinsinniges, gesangliches Spiel präsentierte, das vorher bereits in Robert Schumanns «Fantasiestücken» op. 73 überzeugend zur Geltung kam.

Die Bratschistin Ruth Killius.

Die Bratschistin Ruth Killius.

Bild: PD/Jorim Jaggi

Eine feste Grösse bei Kammermusik Bodensee ist die deutsche Bratschistin Ruth Killius, die mit ihrem warmen, sehr verinnerlichten Spiel stets einen nachhaltigen Eindruck hinterlässt. Sie gesellte sich in einem Lied Franz Schuberts mit dem Titel «Auf dem Strome» zu Klavier und Sopran (Original mit Hornbegleitung). Ein eher ungewöhnliches Schubertlied, für Schubert fast extrovertiert, dramatisch durchgestaltet mit teilweise überraschenden opernhaften Momenten. Die drei Interpreten gestalteten es packend und einnehmend.

Die Geigerin Audrey Haenni mit Pianist Martin Lucas Staub.

Die Geigerin Audrey Haenni mit Pianist Martin Lucas Staub.

Bild: PD/Jorim Jaggi

Nach der Sehnsucht dann der Rausch

Die Sehnsucht stand am Anfang dieses Eröffnungsabends vor vollbesetztem Konzertsaal (mit dem sicher schönsten Pausenblick in der Ostschweiz), mit Schuberts «Lied der Mignon» D 877. Sehnsuchtsvoll, aber auf die rauschhafte, ungestüme, vorwärtsdrängende Art ist Robert Schumanns kammermusikalisches Meisterwerk, sein Klavierquintett Es-Dur op. 44 gesetzt.

Hier jetzt also die Kerntruppe des Festivals, das Schweizer Klaviertrio (mit Angela Golubeva, Martin Lucas Staub und Sébastien Singer), das mit der Bratschistin Ruth Killius und der Schweizer Geigerin Audrey Haenni, wiederum einer jungen Musikerin, zusammenspannte. Diesem Grundduktus eines kompositorischen Rauschs gaben sich alle fünf engagiert und mit sehr glutvollem Spiel hin. Ein stets vorwärtsdrängender Zug machte dieses Quintett zu einer stets spannenden Hörreise.