Gastspiele
Im St.Galler Palace spielt wieder die Musik – aber nur hinter verschlossener Tür

Im Kulturlokal Palace ist wieder Leben eingekehrt. Die Betreiber stellen ihren leerstehenden Raum verschiedenen Musikerpaaren jeweils eine Woche lang zur Verfügung. Wir haben hineingehört.

Roger Berhalter
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Melissa Kassab und Elias Raschle alias Augenwasser machen im leerstehenden Palace Musik.

Melissa Kassab und Elias Raschle alias Augenwasser machen im leerstehenden Palace Musik.

Bild: Ralph Ribi (11. Februar 2021)

Sanfte Flügel- und Gitarrenklänge liegen in der Luft. Elias Raschle, mit Künstlernamen Augenwasser, sitzt auf dem Pianohocker, neben ihm zupft Melissa Kassab die Saiten ihrer akustischen Gitarre. Der St.Galler und die Genferin verbringen eine Woche im Kulturlokal Palace. Dort, wo normalerweise das Publikum vor der Bühne tanzt, haben die beiden Teppiche ausgebreitet und ihre Instrumente und Geräte aufgebaut. Mischpulte, Synthesizer, Gitarren, Verstärker, Mikrofone, eine leere Kaffeetasse und ein Notizheft mit handgeschriebenen Liedertexten.

Melissa Kassab und Augenwasser tasten sich zwei Akkorden entlang, spielen spontan und ohne Noten, zwischendurch müssen sie plötzlich lachen. «Wir haben spielerisch angefangen», sagt Augenwasser. Am ersten Tag ihres fünftägigen Gastspiels im Palace hätten sie eine Challenge gemacht: sechs Songs in drei Stunden schreiben. Dabei haben die beiden vorher noch nie zusammengespielt. Melissa Kassab sagt:

«Wir haben auch ein bisschen Karaoke gesungen, um unserer Scheu abzubauen.»

Fabian Mösch freut sich darüber, dass das Palace endlich nicht mehr still ist und wieder tönt. Das ist dem Co-Programmleiter viel lieber als «dieses Schwarze Loch» - so nennt Mösch die vergangenen zwei Monate, in denen das Kulturlokal geschlossen war und dunkel blieb.

Geschlossen ist das Palace zwar immer noch, aber die Discokugel an der Decke strahlt wieder, und es ist wieder Leben eingekehrt: Die Betreiber stellen das Palace jeweils zwei Musikerinnen und Musiker eine Woche lang als Experimentierraum zur Verfügung.

Wieder selber das Programm gestalten

Ohne Pandemie ginge das nicht, da in normalen Zeiten mehrere Anlässe pro Woche im Palace stattfinden. «So lange am Stück steht der Raum sonst nie leer», sagt Mösch.

Schon im Frühling habe man die Idee mit den «Residenzen» gehabt. «Wir wollten ein Format haben, dass auf jeden Fall durchführbar ist, auch ohne Publikum und unabhängig von coronabedingten Verschärfungen und Lockerungen», sagt Co-Programmleiter Johannes Rickli. Und nicht zuletzt hätten sie wegkommen wollen vom ständigen Umplanen, Verschieben und Absagen von Konzerten:

«Wir wollten die Definitionsmacht über unser Programm wieder zurückholen.»

Also haben sie begonnen, Künstlerduos auszuwählen und ins Palace einzuladen. Den Anfang machten der Ostschweizer Musiker Thomas Kuratli alias Pyrit und die Westschweizer Musikerin Joell Nicolas alias Verveine. Es folgten Melissa Kassab und Augenwasser, und danach das Duo Mischgewebe sowie Wassily, die eine Hälfte des St.Galler Duos Dachs.

Insgesamt sechs solcher Residenzen haben die Palace-Betreiber organisiert. Frühestens im April dürfen sie wieder öffnen, wenn es nach den jüngsten Plänen des Bundesrats geht.

Mindestens ein Song pro Tag

Melissa Kassab deutet mit der Hand nach oben Richtung Galerie. «Der Raum ist fast zu gross für uns, wir sind uns kleinere Orte gewohnt», sagt die Singer-Songwriterin. Es sei aber schön, das Palace eine Woche lang zur Verfügung zu haben.

«Wir machen sonst beide allein Musik, da ist dieser Austausch umso wichtiger», sagt Augenwasser. Er und Melissa Kassab würden nicht nur zusammen Musik machen, sondern auch viel übers Musikmachen reden. Das Ziel sei, mindestens einen Song pro Tag zu schreiben.

Keine Vorgaben, keine Streams

Man gestalte die Künstlerresidenzen «komplett druckfrei», sagen Fabian Mösch und Johannes Rickli. Es gibt keine Vorgaben, und solange die Massnahmen dies nicht erlauben, wird nichts aufgeführt, nichts gestreamt, nichts öffentlich präsentiert. Nur ein paar Instagram-Posts dringen aus dem geschlossenen Palace nach draussen an die Öffentlichkeit.

Mösch und Rickli dokumentieren aber alles. Sie führen mit den Künstlerinnen und Künstlern Interviews, und später wollen sie die Residenzen auch zeigen und erlebbar machen, unter anderem als Reportage im Palace-TV-Kanal auf Youtube. Fabian Mösch denkt schon jetzt an bessere Zeiten: «Wer weiss, vielleicht gibts ja in einem Jahr dann ein gemeinsames Konzert aller Beteiligten?»