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Ostschweizer Kultur
Jede Woche spielen wir Ostschweizer Kulturschaffenden den Ball zu und fragen: Was lernen Sie gerade neu? Worauf freuen Sie sich? Heute mit der Literaturwissenschafterin Hildegard E. Keller, die in Wil und im Toggenburg aufgewachsen ist. Kürzlich feierte sie die Premiere ihres Dokfilms «Brunngasse 8», dessen Abschluss sie in den letzten Monaten intensiv beschäftigt hat.
Hildegard E. Keller ist eine ausgesprochen vielseitige Persönlichkeit. Die Literaturwissenschafterin, die ihre Kindheit in Wil und im Toggenburg verbrachte, ist nicht nur Verlegerin, Buchautorin, Stadtführerin und Literaturkritikerin, sondern auch Professorin für Ältere deutsche Literatur an der Universität Zürich, wo sie Storytelling lehrt.
Als Regisseurin hat sie den Dokumentarfilm «Brunngasse 8» realisiert, der am 20. Januar seinen Kinostart hatte. Im Film verknüpft Keller das jüdische Leben im mittelalterlichen Zürich mit dem Schicksal der Dichterin und Biologin Silvana Lattmann-Abruzzese. Die Italienerin mit Jahrgang 1918 verlor im Ersten Weltkrieg ihren Vater, im Zweiten Weltkrieg ihren Ehemann. Bis vor kurzem wohnte Silvana Lattmann an der Brunngasse 8, mitten in der Zürcher Altstadt. Dort lebte im 14. Jahrhundert Frau Minne, eine vornehme Zürcher Jüdin, die das Haus mit prächtigen Wandmalereien versehen liess.
Vor einem Jahr hat Hildegard Keller ihren ersten Roman «Was wir scheinen» veröffentlicht. Darin erzählt sie von der jüdischen Denkerin Hannah Arendt und ihrem Jahrhundert. Für die Sendung «Passage» von Radio SRF 2 Kultur, die am 18. Februar um 20 Uhr ausgestrahlt wird, durfte Keller ein Feature über ihren Roman realisieren. Zu hören sind nicht nur Tondokumente aus dem Radioarchiv, sondern auch acht Gedichte Arendts, die zum ersten Mal vertont wurden.
Was lernen Sie gerade neu?
Hildegard E. Keller: Ich lerne zu hören und aufzunehmen, was das Publikum mir an Eindrücken mitteilt. Bei Lesungen meines Romans «Was wir scheinen» gibt es immer einen interessanten Mix: Wer den Roman schon gelesen hat, fragt ganz anders, als wer noch ganz am Anfang steht. Beide aber haben Wertvolles zu sagen. Es ist immer echt. Trotzdem kostet es mich Kraft zu lernen, einfach aufzunehmen. Es geht mir auch so, wenn ich jetzt meinen Film «Brunngasse 8» zeige. Ich bin von der Arbeit noch so übervoll.
Welches Buch, welchen Film oder welche Künstlerin haben Sie zuletzt für sich entdeckt?
Sandra Suter, eine wunderbare Sängerin, mit der ich seit langem Projekte mache, hat mich mit dem Musiker Peter Zihlmann zusammengebracht. Was für ein begnadeter Pianist! Zu dritt haben wir Gedichte von Hannah Arendt vertont. Sandra und Peter sind am 18. Februar in meinem Feature in der SRF-2-Sendung «Passage» zu hören.
Was hat Sie in den letzten Monaten am meisten beschäftigt?
Die Finalisierung meines Dokumentarfilms «Brunngasse 8».
Jeden Dienstag erscheint unser Fragebogen, den wir sportlich «Freipass» nennen. Woche für Woche spielen wir Ostschweizer Kulturschaffenden den Ball zu und sind gespannt, welche Antworten sie uns geben. Den «Freipass» nehmen wir dabei wörtlich: Wir redigieren die Antworten nur minimal und kürzen allenfalls, bearbeiten sie aber nicht weiter.
Vervollständigen Sie den Satz: «Wenn ich nicht Literaturwissenschafterin geworden wäre, wäre ich heute ...»
Coiffeuse in einer Institution für Menschen mit Problemen.
Wird die Pandemie die Kulturbranche längerfristig verändern – und sehen Sie darin auch etwas Positives?
Es wird eine neue Umsicht und Vorsicht bei allen Begegnungen geben. Vor allem aber werden viele Begegnungen vermieden, ohne dass man weiss, warum. Auch wird man nie erfahren, was man an Anregung und Herausforderung verpasst hat.
Mit wem würden Sie gerne einmal zusammenarbeiten und warum?
Mit Animationskünstlern den nächsten Film realisieren! Ich würde liebend gern mit der grossen Michaela Müller zusammenarbeiten, auch würde ich gern Martin Senn, heute bei Pixar, kennen lernen. Warum ich das will? Die Maus, die ich für «Brunngasse 8» animieren helfen durfte, hat mich gepackt.
Worauf freuen Sie sich?
Das Jahr wird viele neue Gelegenheiten bieten, mit dem neuen Film, dem Roman, den Büchern der argentinischen Lyrikerin und Autorin Alfonsina Storni, die ich herausgegeben habe. Einladungen nach Teneriffa, Ascona, Winterthur, Wiesbaden sind da! Umso schöner, wenn es noch mehr werden. Ich reise gern und liebe Bühnen als Ort der Begegnung.
An jedem letzten Dienstag des Monats veröffentlicht Hildegard E. Keller einen Podcast über die argentinische Lyrikerin und Autorin Alfonsina Storni. Eine gekürzte Version des Dokfilms «Brunngasse 8» wurde in der Sendung «Sternstunde Religion» ausgestrahlt und kann auf SRF Play angeschaut werden.