Figurentheater
Wiedersehen im Bauch des Wals: Das Figurentheater St.Gallen spielt «Petty Einweg» – ab sofort im Klassenzimmer

Eine Frau und 350 Plastikflaschen sind in der neuen Eigenproduktion «Petty Einweg» auf der Bühne, vielmehr: mitten im Klassenzimmer. Dort soll Stück von Jens Raschke künftig gezeigt werden. Am Donnerstag war Premiere, zunächst im Figurentheater St.Gallen.

Bettina Kugler
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Aus einem kleinen Rohling zaubert Eliane Blumer im Handumdrehen eine PET-Flasche.

Aus einem kleinen Rohling zaubert Eliane Blumer im Handumdrehen eine PET-Flasche.

Bilder: Stephan Zbinden

Versuchen Sie einmal, 15'855 in einer Sekunde zu sagen: Geht nicht, es braucht ein bisschen länger. 15'855, so viele PET-Flaschen werden weltweit pro Sekunde verkauft. Rechnet man weiter, wie viele das in einem ganzen Jahr ergibt, ist das Ergebnis unfassbar hoch, eine Zahl mit vielen Nullen. Ja, ein bisschen Rechnerei muss sein in «Petty Einweg», dem hin und wieder sehr skurrilen, in Meerestiefen abtauchenden Stück zum ernsten Thema Plastikmüll – schliesslich ist es fürs Klassenzimmer konzipiert. Mit der Premierenklasse in den vorderen Reihen konnte man sich aber auch beim Heimspiel im Figurentheater bestens gedanklich an den Zielort Schule versetzen: schon vor der Rechnerei.

Erst einmal klopft es energisch an der Tür, und eine Frau im Ölzeug platzt herein, mit einem Sack voller Plastik im Schlepptau. Voller Plastik? Falsch, eine Glasflasche hat sich darin verirrt, und nun fahndet die Flaschensammlerin nach dem Bösewicht, der nicht sauber getrennt hat. Auch diesen Tonfall werden die Schülerinnen und Schüler kennen – und ahnen, dass jetzt eine Lektion kommt, etwas, das sie sich hinter die Ohren schreiben sollen. Immerhin legt sich Eliane Blumer dafür mächtig ins Zeug.

Die weite Reise einer Einwegflasche

Da ist er, der schon verloren geglaubte sprechende Deckel, zur Freude Pettys (Eliane Blumer). Doch am Ende sind beide noch nicht.

Da ist er, der schon verloren geglaubte sprechende Deckel, zur Freude Pettys (Eliane Blumer). Doch am Ende sind beide noch nicht.

Wie eine Lektion auf dem Stundenplan dauert die Plastikflaschenstory rund 45 Minuten und holt in dieser Zeit weit aus: Vom Klassenzimmer geht es in einer Art Fantasiereise erst zu den «Flaschengebärmaschinen» und Abfüllanlagen, dann in die weite Welt hinaus, an eine Strandbar, auf die Müllkippe, in die Tiefen des Ozeans und irgendwann in den riesigen «Abgrundschlund» eines Wals. Bis zur Auflösung in Mikroteilchen ist der Weg noch weit für Petty, die ahnungslose Einwegflasche.

Auf diesem Weg macht sie Bekanntschaft mit Schwestern wie Petunia, Petrana und Petronella, mit einer sprechenden Tube und der Urmutter aller PET-Flaschen; Eliane Blumer leiht allen ihre Stimme und hat viel Handarbeit mit ihnen. Wenn nötig, wird eben auf die einfachste Art gezaubert: Augen zu ... Augen auf, fertig. Auch wenn sich Jugendliche davon selbstverständlich nicht mehr blenden lassen. Diese spielerische Freiheit gönnt sich die Inszenierung; das Sounddesign von Benjamin Ryser hilft der Vorstellungskraft locker auf die Sprünge.

War es das, oder kommt noch was nach diesem Flaschendasein?

Reichlich Material für ein Klassenzimmerstück, das nachhaltig wirken soll. Eliane Blumer hat alle Hände voll zu tun damit.

Reichlich Material für ein Klassenzimmerstück, das nachhaltig wirken soll. Eliane Blumer hat alle Hände voll zu tun damit.

Mit mehr als 350 Requisiten ist «Petty Einweg» das aufwendigste Klassenzimmerstück, das Regisseurin Dominique Enz bislang untergekommen ist – sie sagt es lachend nach dem Schlussapplaus, mit selbstironischem Augenzwinkern. Immerhin sind diese Flaschen leicht und passen gut in einen Sack; ein paar von ihnen haben Frauke Jacobi und die Szenografin Franca Manz auch witzig aufgehübscht. Schon traut man ihnen mehr zu als ein Einwegleben, sogar existenzielle Fragen wie: Waren wir schon einmal da? Ist nach diesem Dasein alles vorbei?

Was ziemlich pädagogisch beginnt, entwickelt sich allmählich zu einer grotesken, leicht gruseligen Odyssee, deren Stationen und schräge Dialoge sicher stärker im Gedächtnis bleiben als Zahlen und Fakten. 15'855, mal 60, mal 60, mal 24, mal 365: Rechne! Das Resultat ist ... reichlich Plastik. Dem man zumindest eine zweite Chance auf Erden geben sollte.

Ab 10 Jahren und für Erwachsene. Die Vorstellung kann als Klassenzimmertheater gebucht werden. Informationen auf der Website des Figurentheaters. Weitere öffentliche Vorstellungen im Januar 2022.