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Kein Wort ist zu viel im schmalem Band «Fremd bin ich eingezogen», der beim neu gegründeten Thurgauer Caracol-Verlag erschienen ist.
Der Ermatinger Jochen Kelter hat einen neuen Lyrikband veröffentlicht, schmal und dicht. Mit dem titelgebenden Gedicht «Fremd bin ich eingezogen» zitiert er den Beginn von Schuberts «Winterreise» – er fühlt ähnlich wie Wilhelm Müller in seinen Versen eine zunehmende Entfremdung von seiner Umwelt. Und Kelter komponiert den Band auch ähnlich, versammelt je sieben Gedichte in zehn Zyklen, von «Die Trauer der Dinge» über «Fremd bin ich eingezogen» bis zu «Repetition» – dieselbe Struktur wie 2017 in «Wie eine Feder übern Himmel».
Die Dämme brechen
das Elend strömt in den Norden der Welt
die Massen übers Meer aus Süden
und Osten Fremd bin ich eingezogen
Fremd zieh‘ ich wieder aus
den Hundertjährigen Krieg die Pest
Inquisition den Dreissigjährigen Krieg
haben uns Ignoranz und Fürsten beschert
und die Mosaischen: Verbrennt sie!
Den grossen Krieg die Stahlbarone
und Generäle den grossen Mordkrieg
der Europa ins Mark verwüstete die Faschisten
nun schicken uns die anonymen Herren
der Erde die Ausgebombten
Frierenden und Geblendeten über das Meer
seht zu! Fremd bin ich eingezogen
Fremd zieh‘ ich wieder aus und sehe zu
wie die Räuber weiter plündern
enteignen bombardieren
Doch während in der «Winterreise» lediglich subtile Kritik am bestehenden System erkennbar ist, schreibt der gebürtige Kölner vehement dagegen an, in seinen Gedichten und wie in seinen Essays. Kelter nimmt nie ein Blatt vor den Mund: «Und Sommer glänzt / wie in meiner Jugend die Fahnen / rote und schwarze» heisst es gleich im ersten Gedicht «Winterleben»; «um die Welt ist es ziemlich übel bestellt» in «Selbstporträt»; im Zyklus «Kolumbianische Exkursion» ist das lyrische Ich ein heimatloser Reisender und ist die Rede von jenen, «die mit dem Zuckerohr auch ihr Leben auspressen». Einmal sind «die Geschichtsbücher leuchtend weiss», ein ander Mal «fischen wir uns aus dem Strudel der Welt die wieder einmal zu versinken droht».