Corona-Fragebogen #2
Wie meistern Kulturschaffende die Pandemie? «Ich hoffe, dass Corona unsere Gesellschaft nachdenklicher macht», sagt der Thurgauer Schriftsteller Peter Stamm

In einer Serie bieten wir jeden Freitag Ostschweizer Kulturschaffenden eine Bühne und stellen ihre Projekte vor. Heute Folge 2 mit dem Weinfelder Schriftsteller Peter Stamm. Seine Lesereisen durch die USA und Europa wurden abgesagt. Doch zum Schreiben findet er genug Konzentration – und arbeitet an einem Kinderbuchprojekt, für das er wohl sonst keine Zeit gehabt hätte.

Julia Nehmiz
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Peter Stamm, Schriftsteller.

Peter Stamm, Schriftsteller.

Bild: Claudia Below

Peter Stamm (57) hat im Herbst seinen neuen Erzählband «Wenn es dunkel wird» veröffentlicht. Aktuell schreibt er an einem neuen Roman, an einem Kinderbuch und an einem Libretto für eine Oper, die in der Spielzeit 2021/2022 im Casinotheater Zug uraufgeführt werden soll. «Mir wird nicht langweilig», sagt er. Auch wenn fast alle seiner Lesungen in diesem Jahr nicht stattfinden konnten. Trotz der weltweiten Auswirkungen der Pandemie: Corona verändert sein Schreiben nicht. Der aus Weinfelden stammende Schriftsteller weiss von anderen Kunstschaffenden, die sich nur schwer auf ihre Arbeit konzentrieren können, weil Corona und die wirtschaftlichen Auswirkungen bis hin zu Existenzangst sie zu sehr sorgen. «Wenn du nicht weisst, wie es weitergeht, kannst du nicht fokussiert arbeiten. Diese Angst muss ich zum Glück nicht haben», sagt er.

Was hat sich für Sie seit Ausbruch der Pandemie verändert?

Peter Stamm: Ich hatte praktisch keine Lesungen mehr, Lesereisen in die USA, nach Frankreich, Italien, Österreich und Deutschland wurden abgesagt. Und natürlich auch die Lesungen in der Schweiz.

Können Sie trotz der Einschränkungen Ihrer Kunst nachgehen?

Das Lesen ist zwar wichtig fürs Einkommen, aber meine Kunst ist ja das Schreiben, und das ist ohnehin ein einsames Geschäft. Daran kann mich kein Virus hindern. Nur wenn ich spazierte um nachzudenken, störten mich manchmal die vielen Leute, die im Wald unterwegs waren. Aber das hat sich wieder gegeben, jetzt wo es kälter geworden ist.

Wie hoch sind Ihre Einbussen wegen Corona? Was fällt für Sie alles ins Wasser?

Das kann ich im Moment noch nicht beziffern. Ich habe zum Teil an Texten gearbeitet, die erst in einem oder zwei Jahren publiziert werden. Ich habe in diesem Jahr nur circa einen Viertel der Lesungen machen können, die ich in einem normalen Jahr mache, das führt zu kurzfristigen Ausfällen. Aber ich gehöre sicher nicht zu denen, die es am härtesten trifft.

Denken Sie manchmal ans Aufhören?

Nein, nie.

Was spornt Sie an weiterzumachen?

Die Freude am Schreiben. Ich habe als junger Autor viele Jahre lang von Gelegenheitsjobs und mit sehr wenig Geld gelebt, aber auch das hat mir die Freude am Schreiben nie verdorben. Wer reich werden will, wird ganz bestimmt keinen künstlerischen Beruf wählen.

Gibt es für Sie auch positive Coronaeffekte?

Ich habe ein Kinderbuchprojekt angefangen, für das ich wohl sonst keine Zeit gehabt hätte. Auch konnte ich sehr konzentriert an meinem neuen Roman schreiben, der wohl nächstes Jahr erscheinen wird. Und abgesehen von den tragischen Ereignissen war es auch einfach spannend, wie die Menschen mit dieser Situation umgegangen sind.

Was wünschen Sie sich für 2021?

Ich hoffe, dass ich wieder reisen und Lesungen machen kann. Und ganz allgemein hoffe ich, dass Corona unsere Gesellschaft etwas nachdenklicher macht. Dass wir in der Krise lernen, was wirklich wichtig ist. Und was möglich ist an Veränderung. Schade wäre es, wenn nach der Krise einfach alles wieder so wird, wie es vorher war.

Aktuelles Projekt: Peter Stamm liest im Livestream

Peter Stamms neues Buch erschien im Herbst 2020.

Peter Stamms neues Buch erschien im Herbst 2020.

Bild: PD

Eine Lesung von Peter Stamm findet jetzt statt, obwohl in Deutschland ein Teil-Shutdown gilt. Am 8. Dezember stellt Stamm im Literaturhaus Stuttgart seinem neuen Erzählband «Wenn es dunkel wird» vor. Er liest live vor Ort, vielleicht bringt die Veranstalterin noch die Stofftiere ihrer Tochter als Publikumsersatz mit, sagt Stamm. Die Zuhörerinnen und Zuhörer können sich auf der Homepage des Literaturhauses Stuttgart anmelden und gegen ein Eintrittsticket (5 Euro) die Lesung live im Stream daheim verfolgen. Peter Stamm freut sich, dass es für ihn wie eine richtige Lesung sein wird mit allen Ritualen wie Anreise, Tonprobe, Gespräch mit den Veranstaltenden, Hotelübernachtung – einzig das Publikum bleibt daheim. Das Livestream-Ticket kann bis 60 Minuten vor Veranstaltungsbeginn gebucht werden.