Corona-Fragebogen #5
Wie meistern Kulturschaffende die Pandemie? «Corona wird die Musiklandschaft sehr stark verändern», sagt der St. Galler Dirigent Robert Bokor

In einer Serie bieten wir jeden Freitag Ostschweizer Kulturschaffenden eine Bühne und stellen ihre Projekte vor. Heute Folge 5 mit dem
St. Galler Dirigenten Robert Bokor. Wieviel den Menschen Live-Musik bedeutet, hat er in vielen Rückmeldungen aus dem Konzertpublikum erfahren.

Martin Preisser
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Dirigent Robert Bokor.

Dirigent Robert Bokor.

Bild: PD

Der Geiger Robert Bokor (52) ist seit 2011 Chefdirigent des Arpeggione Orchesters im vorarlbergischen Hohenems. Von Robert Jud hat er zudem letztes Jahr das traditionsreiche Orchester Musikfreunde St. Gallen übernommen. Bokor war bis 2007 Zweiter Konzertmeister im Sinfonieorchester St. Gallen und ist heute als Dirigent auch international bis Fernost unterwegs. So ist er seit 2019 Artist in Residence der Harbin Concert Hall und Gastdirigent des Harbin Symphony Orchestra, dem ältesten Sinfonieorchester Chinas. Als Geiger hat Bokor über 40 Konzerte im Repertoire.

Was hat sich für Sie seit Ausbruch der Pandemie verändert?

Robert Bokor: Seit März habe ich, so wie alle selbständigen Musikerinnen und Musiker, fast durchgehend Auftrittsverbot. Durch die viele Massnahmen hat sich die Durchführung eines Konzertes praktisch nicht mehr gelohnt. Mit den Einschränkungen der Besucherzahl unabhängig des Raumvolumens – in St. Gallen zum Beispiel im Pfalzkeller, in der Tonhalle oder im Dom – haben wir absurde Situationen erlebt. Dabei wären Konzertbesuche, bei welchen das Publikum schweigend, mit Maske und Abstand die Musik geniesst, am wenigsten bedenklich. Eigentlich ein Schutzkonzept par excellence.

Können Sie trotz der Einschränkungen Ihrer Kunst nachgehen?

Die Kunstfreiheit ist in Art. 21 der Bundesverfassung statuiert und gehört zu den Grundrechten. Die meisten Theater und Konzertsäle sind jedoch zu, öffentliches Spielen und Singen verboten. Als freischaffender Dirigent bin ich auf die Einladungen der Orchester angewiesen, welche aber in diesem Jahr durch die stark eingeschränkten Besucherzahlen und damit verbundenen Ticketverkäufen gezwungen waren, die meisten Auftritte abzusagen.

Wie hoch sind Ihre Einbussen wegen Corona? Was fällt für Sie alles ins Wasser?

Ich habe sämtliche Konzerte in der Region, letztlich auch das Konzert am 6. Dezember mit dem Orchester Musikfreunde St. Gallen, sowie alle Gastdirigate im Ausland verloren. Gerade während der Adventszeit gibt es viele Konzerte und wichtige Honorareinnahmen für uns Musikerinnen und Musiker. Nebst dem verlorenen und fehlenden Gemeinschaftsgefühl auf der Bühne und mit dem Publikum, gibt es dementsprechend auch finanziell hohe Einbussen.

Denken Sie manchmal ans Aufhören?

Da die Musik für mich eine Berufung und nicht nur ein Beruf ist, käme für mich persönlich Aufhören nicht infrage. Es schmerzt mich jedoch zu sehen, dass viele kleinere Veranstalter diesen Winter nicht überleben werden. Ich kenne ausserdem viele, vor allem junge Künstlerkollegen, welche reale Existenzängste haben und fest an einen Berufswechsel denken. Ich glaube, dass die Pandemie die Musiklandschaft sehr stark verändern wird.

Was spornt Sie an weiterzumachen?

Die Menschheit hat auch früher schon Krisen erlebt - grosse Kriege, Naturkatastrophen und Pandemien – und es hat sich immer gezeigt, dass die Kraft der Kunst und Musik heilend und hoffnungsgebend für die Menschen war. Es geht uns heute im 21. Jahrhundert vergleichsweise nicht so schlecht wie früher. Wenn unsere Vorfahren mitten in den grossen Krisen nie die Musik aufgegeben und den Halt daran nicht verloren haben, werden wir es auch nicht tun.

Gibt es für Sie auch positive Coronaeffekte?

Persönlich habe ich mehr Zeit, meine interpretatorischen Ideen zu hinterfragen und neu zu gestalten. Durch verschiedene Rückmeldungen seitens des treuen Publikums ist mir auf eine herzerwärmende Weise bewusst geworden, wie viel die Live-Musik den Menschen bedeutet und wie sehr sie vermisst wird.

Was wünschen Sie sich für 2021?

Ich wünsche mir natürlich, dass wir möglichst rasch aus diesem Albtraum herauskommen. Ich finde es auch sehr wichtig, dass die Kunst, politisch gesehen, nicht nur als Freizeitbeschäftigung abgestempelt wird, sondern dass deren Wert und Wichtigkeit als ein Grundbedürfnis für eine gesunde Psyche und Seele anerkannt wird.

Nächste Konzerte mit Robert Bokor sind geplant am 10. und 11. April 2021 (Hohenems und Jona) mit dem Argeppione Orchester und am 17. Juni (St. Gallen) mit dem Orchester Musikfreunde St. Gallen. www.robertbokor.com