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In ihren Gedichten konzentriert Monika Schnyder gern ausgiebige Recherchen und Lektüren auf wenige Zeilen. Was darin an Nahrhaftem und Hochprozentigem für den Geist enthalten ist, erzählt sie bei Tee und Brainfood; am Samstag stellt sie ihren neuen Lyrikband «Drift» an einer musikalischen Lesung im Raum für Literatur vor.
Für einen Aperitif ist es noch zu früh am Tag. Auch ein Bier wäre um diese Uhrzeit unpassend, obwohl einer der sechs Zyklen im neuen Band der St.Galler Lyrikerin Monika Schnyder mit «Brot und Bier» überschrieben ist. Als wolle sie, nicht ganz so hymnisch, anspielen auf ein berühmtes Langgedicht der deutschen Literatur – Hölderlins Elegie «Brod und Wein», 160 Strophen umfassend. Monika Schnyder braucht meist nur wenige Zeilen für ihre schwungvollen Zeit- und Fernreisen in Worten. Sie lässt darin aufblitzen, was sie beim Schreiben antreibt: Neugier, Entdeckungsfreude, ein unbändiger Wissensdurst.
Zum Beispiel auf die Anfänge der Braukunst, ob nun im alten Ägypten oder bei den Wikingern, die bei ihren Überfällen auch gerne Wein erbeuteten. Solchen Spuren folgt die 1945 in Zürich geborene Lyrikerin gern in ausgiebigen Recherchen. Manchmal beginnt es mit einem wissenschaftlichen Magazintext, manchmal mit einer gewagten These: Wie jener, dass das Brauen von Bier zum Sesshaftwerden des Menschen beigetragen habe. Den Ausschnitt aus der «Coop-Zeitung» hat Monika Schnyder aufbewahrt, er hat viel angestossen. Und so erzählt sie nun, bei einem Glas duftendem Tee, wie die Ägypter aus Gerstenbrot und Nilwasser Dünnbier herstellten – und es auch Kindern zu trinken gaben.
Früher als Journalistin tätig, ist Monika Schnyder nicht nur eine unermüdliche, vielseitig interessierte Forschungsreisende, eine Jägerin und Sammlerin in den Gefilden der Menschheits- und Kulturgeschichte. Sie teilt ihre Beute auch gern, sie backt und braut mit der Ernte ihrer Lektüren und Reisen. Ihre Gedichte sind kunstvolle, hochkonzentrierte Texte, bewusstseinserweiternde Spirituosen in Papiergestalt. Sie sagt:
«Ich vertiefe mich gern ausgiebig in Themen, die mich interessieren. Aber irgendwann merke ich: Jetzt muss ich aufhören und etwas eigenes daraus machen.»
Doch eine Weile lässt sie sich gerne treiben, folgt der Strömung ihrer Fragen, driftet hin und wieder ab und lässt sich überraschen. Nur schon der Titel ihres neuen Buches, «Drift», öffnet viele Bedeutungsräume. «Es kann ‹Strömung› heissen, ‹Wirbel›, ‹Einschlag› oder ‹Trend›», sagt Monika Schnyder. «Als Verb steht es für treiben, driften, abdriften.»
Etwas weitergeben zu wollen, Wissen, Sprachkenntnisse, Erfahrungen, auf eine erfrischend undogmatische Art: Das gehört zum Wesen der Lyrikerin, die auch Arabischunterricht erteilt. Als aufmerksame Gastgeberin hat Monika Schnyder zum Gespräch Brainfood von nah und fern bereitgestellt, Nüsse, getrocknete Früchte mit Frischkäse – eine Stärkung für die Hirnzellen.
Und so geht es anregend kreuz und quer durch das Buch, von den Plagegeistern und krabbelnden Winzlingen, die aus Menschensicht Ungeziefer sind (oder sogar eine Pandemie verursachen können), nach Tiflis, zu Wein und berauschender Sprache. Zu Höhlenmalereien und frühgeschichtlichen Funden. Einer Nadel im Heuhaufen, beispielsweise: der Nadel mit Öhr aus der Altsteinzeit.
«Diese Erfindung war eine Revolution», sagt Monika Schnyder. «Dank dichter Kleidung konnten die Menschen der Kälte trotzen.» Die Knochennadel wird der Lyrikerin zum Bild dessen, was uns zum Leben, zum Überleben dient. Darüber schreibt und spricht sie viel lieber als über Privates: «Herz-Schmerz-Gedichte interessieren mich nicht.»
Am Samstag wird sie den neuen Lyrikband, ihren ersten, der im 2020 gegründeten Thurgauer Caracol-Verlag erschienen ist, im Raum für Literatur in der Hauptpost St.Gallen vorstellen. Es wird keine trockene Lesung werden; Monika Schnyder hat sich gründlich darauf vorbereitet – und wird die Gedichte mit Wissen würzen. Auf unterhaltsame Weise wird sie die Fussnoten servieren, die man sich sonst erlesen müsste, oder neudeutsch: ergoogeln. Willi Häne und die Sängerin Helena Rüdisühli werden dazwischen Musik beisteuern. Trinklieder dürfen da natürlich nicht fehlen.
Buchvernissage mit Apéro und Büchertisch am 7. Mai, 17 Uhr–18.30 Uhr, Raum für Literatur in der Hauptpost St.Gallen. Anmeldung erforderlich unter anmeldung@caracol-verlag.ch.