Ostschweizer Musiktipps
Wenn schon nicht live, dann wenigstens auf CD: Klagen, Innehalten und Jubilieren mit Ostschweizer Musikern

Das Vergnügen war kurz: Konzerte sind einstweilen pandemiebedingt wieder verboten. Diese drei Aufnahmen aus der Region machen die Wartezeit erträglicher. Mit Bach, Vivaldi und Chopin legen Musikerinnen und Musiker aus der Ostschweiz beeindruckende Einspielungen vor: mit jubelnden Musikerheerscharen, innehaltender Klagemusik und eindrucksvoller Langsamkeit.

Bettina Kugler, Martin Preisser
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Da durften sie noch live spielen: Die Bach-Stiftung eo einer Aufführung des Weihnachtsoratoriums im Dezember 2017. Jetzt ist gibt es die CD mit live recordings entstanden.

Da durften sie noch live spielen: Die Bach-Stiftung eo einer Aufführung des Weihnachtsoratoriums im Dezember 2017. Jetzt ist gibt es die CD mit live recordings entstanden.

Bild: Hanspeter Schiess

Bach-Stiftung St.Gallen: Ansteckender Jubel im Weihnachtsoratorium

Die Bach-Stiftung St.Gallen veröffentlicht passend zur Weihnachtszeit das Weihnachtsoratorium.

Die Bach-Stiftung St.Gallen veröffentlicht passend zur Weihnachtszeit das Weihnachtsoratorium.

Bild: pd

Diese Musik wirkt wie ein Impfstoff gegen Coronablues und vorweihnachtliche Sorgen um liebgewonnene Rituale: Genau zur rechten Zeit ist im November die Doppel-CD mit allen sechs Kantaten des Bach’schen Weihnachtsoratoriums erschienen, aufgenommen zwischen Dezember 2017 und Januar 2020 in der Evangelischen Kirche Trogen. In Zeiten also, als dort noch vor Publikum und ohne Sicherheitsabstände frohlockt werden durfte, mit Jubelchören, Pauken und Trompeten. Jetzt tröstet die mitreissend musizierte, dabei in feinsten gestalterischen Details überzeugende Aufnahme über ein fast sang- und klanglos ausgefallenes Kantatenjahr der J.S. Bach-Stiftung St.Gallen hinweg.

Wie wird man jauchzen, wenn es dereinst wieder so sein wird wie an diesen protestantisch-festlichen Freitagabenden! Dass die Solisten von Kantate zu Kantate passgenau wechseln, ist nur einer von vielen Vorzügen dieser in den üblichen Etappen entstandenen CD. Ein weiterer: Tenor Daniel Johannsen als lebhafter, ungemein plastisch gestaltender «Erzähler» der altbekannten Geschichte. Er macht überwältigende News daraus – glanzvoll sekundiert von himmlischen Musikerheerscharen.

J. S. Bach: Weihnachtsoratorium. Chor und Orchester der Bach-Stiftung St. Gallen, Ltg. Rudolf Lutz. 2 CD-Set, 45.-, zu bestellen über die Bach-Stiftung St.Gallen

Kimberly Brockman und Dommusik St.Gallen: Sinnliches Klagen mit Vivaldi

Die Dommusik St.Gallen und Kimberly Brockman haben Vivaldi und Fiocco eingespielt.

Die Dommusik St.Gallen und Kimberly Brockman haben Vivaldi und Fiocco eingespielt.

Bild: pd

Die Dommusik St.Gallen legt eine neue CD vor, mit österlicher Musik, die aber gut in unsere nachdenkliche, anspruchsvolle Zeit passt. Und auch zu Weihnachten ein Stück ruhiger Klagemusik präsentiert, die zum Innehalten einlädt. In den Klageliedern des Propheten Jeremia, die der belgische, spätbarocke Komponist Joseph-Hector Fiocco (1703 - 1741) vertont hat, steht die Sopranistin Kimberly Brockman im Zentrum. Die Sängerin darf seit Jahren als eine Art Fixstern der Dommusik gelten. Die 18 Lamentations-Nummern sind geprägt von Brockmans Können, Schlichtheit und Klarheit des Gesangs mit einer virtuosen Geschmeidigkeit zu kombinieren, eine Verbindung, die den Hörer in jedem Moment fesselt. Fioccos Musik mit ihrer speziellen Eleganz und Farbigkeit ist eine echte Entdeckung.

Zwischen diese Musik zur Karwoche sind vier langsame Sätze aus Cellosonaten Vivaldis gesetzt. Marion Gast und Bettina Messerschmidt erweisen sich als feinsinnige, eindringliche Gestalterinnen mit viel Wissen um die Alte Musik. Das Cello nimmt das Klagende von Fiocco auf überraschende Weise instrumental auf. Michael Wersin leitet das Ensemble der Dommusik von der Orgel aus.

Musik aus der Kathedrale Vol. 5: Fiocco/Vivaldi, Lamentations. Kimberly Brockman, Collegium Instrumentale, Ltg. Michael Wersin; 1 CD, 9,50.-, zu bestellen über Dommusik St.Gallen

Bernhard Ruchti: Lohnende Langsamkeit mit Chopin

Pianist und Organist Bernhard Ruchti entdeckt bei Chopin die Langsamkeit.

Pianist und Organist Bernhard Ruchti entdeckt bei Chopin die Langsamkeit.

Bild: pd

Seit einiger Zeit kommt der Winterthurer Pianist Bernhard Ruchti, der in St. Laurenzen St. Gallen auch als Organist amtet, mit seiner Philosophie des langsameren Spiels, seinem «Tempo Project», zu überzeugenden Ergebnissen. Bei Beethoven, Schumann oder Liszt, und jetzt mit den im Januar erscheinenden 12 Etüden op. 10 von Chopin. Wer die Stücke nicht kennt, wird sie überhaupt nicht langsam, sondern organisch und überzeugend fliessend empfinden. Wer die vielen rasanten, oft stromlinienförmigen Aufnahmen kennt, wird Ruchtis Sicht nicht langsam finden, sondern in ruhigem Tempo höchst interessant.

Hinter all den virtuosen Kaskaden kommen bei langsamerem Zugang plötzlich viele Zwischenfarben und Zwischenräume zum Tragen. Statt des Huschens plötzlich fein Hingetupftes. Begleitfiguren und Spannungsbögen werden klarer, über kein Detail wird einfach nur hinweggefegt. Bernhard Ruchti stellt mit seiner nie akademisch klingenden Philosophie diese Etüden eher in den Bereich sehr poetischer Charakterstücke. Denken statt Rasen mit dem Gewinn eines enormen Artikulationsreichtums. Eine aufregende, spannende, neue Chopin-Hörerfahrung.

Bernhard Ruchti: Chopin, Zwölf Etüden op. 10; CD ab Januar zu bestellen unter www.musicjustmusic.net oder unter www.bernhardruchti.com