Jede Woche spielen wir Ostschweizer Kulturschaffenden den Ball zu und fragen: Was lernen Sie gerade neu? Worauf freuen Sie sich? Heute mit der Pianistin Ute Gareis. Die Musikerin hat für sich das Orgelspiel entdeckt und ist davon überzeugt, dass Alles mit Allem zusammenhängt.
Ute Gareis studierte Klavier an den Musikhochschulen Würzburg und Köln. Nach einem dreijährigen Nachdiplomstudium in London begann sie ihre Konzerttätigkeit als Solistin und Kammermusikerin, unter anderem auch mit Opern-, Film- u. Tanzproduktionen. Als mehrfache Preisträgerin im Klavierduo mit ihrem Partner Klaus-Georg Pohl wurde ihr Spiel in mehreren CD- und Rundfunk-Produktionen aufgezeichnet und ausgestrahlt.
Nebst ihrer Lehrtätigkeit an der Kantonsschule am Burggraben, St.Gallen, engagiert sie sich mit Freude und in verschiedensten Besetzungen auf dem Gebiet der Neuen Musik. 2018 absolvierte sie das Kirchenmusikstudium mit dem Berufsdiplom Orgel B. In der St.Galler Reihe für zeitgenössische Musik, «Contrapunkt», arbeitet sie im Vorstand mit.
Was lernen Sie gerade neu?
Ute Gareis: Ich lerne das Improvisieren auf der Orgel. Die Kirchenorgel, mein neues Instrument, das mir vor etwa sechs Jahren ganz zufällig unter die Füsse gefallen ist, begeistert mich. Und ich versuche seither, ihren Anforderungen entgegen zu wachsen. Bach auf der Orgel: eine ungeahnte Welt. Ein Organist ohne Impro-Fähigkeiten? Ein Unding. Also lerne ich Sequenzen, Kadenzen, Modi, Generalbass; das ist echte Knochenarbeit und bringt das Gehirn zum Schmoren. Ausserdem spiele ich seit einiger Zeit meine Klavier- und Orgelliteratur komplett vom Tablet. Riesige Papierstösse, Kopieren und Seitenkleben gehören der Vergangenheit an. Es bedeutet viel Zeitinvestment ins Pad und seine Funktionen. Da stellt sich die Frage deutlich nach Segen oder Fluch. Meine Einschätzung: Die digitale Welt ist ein Zuckerhaus und drinnen wohnt die zeitfressende Hexe.
Was haben Sie zuletzt für sich entdeckt?
Bücher stapeln sich neben meinem Bett und fast jedes davon ist eine Entdeckung. Die aktuelle Ausstellung im St.Galler Museum im Lagerhaus mit Fotografien von Lene Marie Fossen ist überwältigend und verstörend; eine Krankheit, die uns überall im Alltagsgeschehen umgibt, wird hier mit dem Selbstauslöser in eine überirdische Schönheit gehoben, ohne dass der Schmerz den Betrachter aus der Umklammerung lässt. In den ebenfalls dort ausgestellten Porträts griechischer Flüchtlingskinder schaut die Künstlerin den Gesichtern beinahe unter die Haut. Es ist schwer, dieser Intensität standzuhalten.
Was hat Sie in den letzten Monaten am meisten beschäftigt?
Dass sich Geschichte grausamst wiederholt, offenbar wiederholen muss. Und die unselige Debatte der «kulturellen Aneignung», die uns vergessen lässt, dass die Schöpfung nicht auf dem Prinzip von «Reinheit » beruht, nicht biologisch und schon gar nicht kulturell. Keine Generation schwebt im luftleeren Raum, wir stehen alle auf den Schultern unserer Vorgänger, Alles ist verwoben und hängt mit Allem zusammen. Wir sind ohne den Anderen nichts und sind ihm ähnlicher, als wir meinen.
Vervollständigen Sie den Satz: Wenn ich nicht Musikerin geworden wäre, wäre ich heute ...
,,,...nicht mehr am Leben.
Mit wem würden Sie gerne einmal zusammenarbeiten und warum?
Mit jeder Musikerin und jedem Musiker, die bereit sind, sich unabhängig von der Bedeutung des Events immer ganz und gar auf die Musik einzulassen. Und von denen kenne ich eine ganze Menge.
Worauf freuen Sie sich?
Dass das Leben weiter geht. Dass es Veränderungen gibt. Dass das Leben endlich ist.