Jede Woche spielen wir Ostschweizer Kulturschaffenden den Ball zu und fragen: Was lernen Sie gerade neu? Worauf freuen Sie sich? Heute mit dem Illustrator Nino Christen, der in St.Gallen aufgewachsen ist und heute in Zürich lebt und arbeitet. Er reist gerade mit seiner Familie im Camper durch Europa.
Nino Christen wurde 1984 in Kathmandu geboren. Mit zehn Jahren zog er mit seiner Familie nach St.Gallen. Nach einer Grafikerlehre studierte er an der Hochschule für Kunst und Design in Luzern Animation und schloss 2009 mit dem Bachelor ab. Sein Abschlussfilm «Little Eden» und sein Débutfilm «L’Île Noire» wurden an vielen internationalen Animationsfilmfestivals gezeigt und gewannen Preise. Christens künstlerische Projekte wurden mehrfach mit Werkbeiträgen und Projektförderungen unterstützt.
Seit 2010 arbeitet Christen in Zürich als freischaffender Illustrator und Animationsfilmer. Der Vater von zwei Kindern ist mit seiner Familie immer wieder auf Reisen. Christens Illustrationen, die bis 30. Oktober beim Kornhaus Rorschach im Rahmen der «Billboards am See» zu sehen sind, beschäftigen sich mit der drohenden Klimakatastrophe und der Zerstörung der Natur.
Was lernen Sie gerade neu?
Nino Christen: Prioritäten zu setzen. Seit ich Kinder habe, ist Zeitmanagement extrem wichtig geworden, um Arbeit, Familie und Freizeit unter einen Hut zu bringen. Im Atelier unproduktiv zu sein, liegt nicht mehr drin. Ich versuche, diesen Druck als etwas Positives zu sehen. Es zwingt mich, genau zu prüfen, welche Projekte ich machen will und welche Kompromisse ich einzugehen bereit bin. Freie oder kulturelle Projekte, die eher wenig einbringen, haben einen schweren Stand. Dennoch sind es genau diese Projekte, die mich künstlerisch weiterbringen und sich auch auf meine kommerziellen Arbeiten nachhaltig positiv auswirken.
Welches Buch haben Sie zuletzt für sich entdeckt?
Kinderbücher haben mich aus Berufsgründen schon immer interessiert. In den letzten Jahren wurde ich zwangsläufig richtig tief in die Materie reingezogen und kenne nun auch die Sicht des Zielpublikums besser. So konnte ich alte Meister wie Binette Schroeder, Bernadette, Stepan Zavrel, Maurice Sendak oder Herbert Lentz wieder entdecken und auch aktuellere illustrierte Kinderbücher kennen lernen. Sehr inspirierend finde ich Benji Davis, Júlia Sardà oder Carson Ellis.
Was hat Sie in den letzten Monaten am meisten beschäftigt?
Klimakrise, Pandemie, Krieg. Abstrakte und doch sehr reale Dinge, denen wir hauptsächlich durch unseren Medienkonsum begegnen. Gleich daneben feiern wir in den sozialen Medien einen Exzess von Omg’s, Ootd’s, Selfies, Yolo’s, und natürlich vielen lustigen Katzenvideos und Epicfail’s. Diese Diskrepanz versuchte ich einzufangen. So entstanden die Hashtag-Illustrationen, die gerade in Rorschach an der Seepromenade an Billboards ausgestellt sind. Abhängigkeit versus Zerstörung der Natur: Dieses ambivalente Verhältnis versuche ich in meiner Arbeit zu ergründen.
Vervollständigen Sie den Satz: Wenn ich nicht Illustrator geworden wäre, wäre ich heute ...
Arbeitslos! Nein im Ernst, ich kann mir keinen für mich geeigneteren Beruf vorstellen, als den ganzen Tag zu zeichnen.
Mit wem würden Sie gerne einmal zusammenarbeiten und warum?
Sehr inspirierend fand ich die Zusammenarbeit mit einem Musiker aus Kalifornien. Es entstand ein animiertes Musikvideo zum Song «Lobo» (The Westerner Band). Jedes Lied des Albums wird animiert und so soll demnächst ein etwa einstündiger Film entstehen.
Ein ähnliches Projekt war der animierte Omnibus-Film «Only A Child» von Simone Giampaolo, für welchen ich und 20 andere Schweizer Animationsfilmerinnen und -filmer jeweils eine Sektion animieren durften. Der Film war übrigens dieses Jahr für den Oscar nominiert. Das Drehbuch und die Handlung waren bei diesen beiden Projekten grob vorskizziert. Ich durfte dann in meinem Stil und nach eigenen Vorstellungen neue Ideen entwickeln und die Animation gestalten. Da schon ein Grundstein gelegt war, fiel es mir sehr leicht, etwas Neues auszuprobieren. So ein Projekt würde ich gerne wieder machen.
Worauf freuen Sie sich?
Im Moment reise ich gerade für ein paar Monate mit meiner Familie im Camper durch Europa. Ich freue mich nach meiner Rückkehr, genährt von diesen vielen Eindrücken, im Atelier wieder loszulegen. Und natürlich wieder auf ein grösseres Bett.