Frei in Form und Ort: Im Jazz-Quartett Emitime finden Einflüsse aus New York, Buenos Aires und Zürich zusammen. Kürzlich hat die Band um den Thurgauer Schlagzeuger Samir Böhringer ihr neues Album präsentiert. Aufgenommen wurde es in New York, just als die Pandemie ausbrach.
Auf der Bühne wie im Leben scheinen sich die Musiker in unterschiedlichen Zeiten und Orten zu befinden. Die Soli und Improvisationen fliessen aneinander vorbei, touchieren sich hie und da und finden schliesslich doch wieder in einem stillen Konsens zueinander. Es war genau diese Lust und Freude daran, musikalische Grenzen auszuloten, welche Santiago Leibson (Piano), Santiago Lamisovski (Bass), Tobias Pfister (Tenor-Saxofon) und Samir Böhringer (Schlagzeug) in einem Künstlerhaus im New Yorker Stadtteil Green Point zusammenbrachte. Ein Paradebeispiel für die Früchte, welche Kulturförderung tragen kann.
Denn für Böhringer wie auch Pfister waren und sind die regelmässigen Reisen in das Jazz-Mekka New York nur dank Fördergeldern möglich. 2019 gewann der in Lengwil aufgewachsene und heute in Zürich wohnhafte Böhringer unter anderem den Kulturförderpreis des Kantons Thurgau und kann dadurch den Austausch mit Übersee intensivieren. Von Unterstützung, wie es Musikerinnen und Musiker in der Schweizer erfahren, können die meisten aufsteigenden Jazzer in den USA nur träumen. «Es ist schon eine Dringlichkeit zu spüren», erzählt Böhringer von seinen Erfahrungen aus den Staaten. So wird jeder Jam zum potenziellen Durchbruch und jeder Gig zur Bewährungsprobe. «Oft spielen die Leute, als wäre es ihr letzter Auftritt», so Böhringer. Einerseits treibt dieser Druck zu Höchstleistungen an, andererseits lässt ein solches Umfeld wenig Raum für Fehler und Experimentierfreude. Doch genau daran waren die vier Musiker interessiert und fanden sich unter der Free-Jazz-Formation Emitime zusammen.
Es ist März 2020 und nach einer ersten gemeinsamen Tour steht die CD-Aufnahme in New Jersey an. Gleichzeitig nimmt die Coronapandemie volle Fahrt auf, New York verwandelt sich in eine Geisterstadt und Trump verhängt einen Einreisestopp für die USA. Als die meisten Bekannten schon fluchtartig New York verlassen, wagen die vier Weltenbürger noch einen vorerst letzten Studiobesuch. Innert eines Tages sind alle Songs im Kasten und mit dem Album «Scarce» entsteht ein Zeitzeugnis von der Verschmelzung dreier Jazzhintergründe. Einflüsse und Ideen aus Argentinien, den USA und der Schweiz finden darauf zusammen und erweitern so eingesessene musikalische Vorstellungen und vergrössern den Jazzhorizont der Zuhörenden wie auch den der Musiker selbst.
Es vergehen zwei Jahre, bis die Band wieder physisch zusammenkommt und Ende Mai ihre Albumtaufe im Kreuzlinger Kult-X feiern kann. «Ein Dankeschön an die Unterstützung, welche ich im Thurgau erfahren durfte», sagt Böhringer. Die Tour durch Schweizer und deutsche Clubs spornt die Musiker an – innert einer Woche sind zwei Jahre wieder aufgeholt. Bezeichnend für eine Band, die unter einmaligen Bedingungen zusammengeschweisst und trotz ihrer örtlichen Distanz menschlich und in der Musik immer wieder auf den Punkt zusammenfindet. So ist der nächste Halt derzeit New York mit weiteren Gigs und einem abschliessenden Studiobesuch – diesmal hoffentlich unter weniger dramatischen Umständen.