Jede Woche stellen wir Ostschweizer Kulturschaffenden sieben Fragen zu und wollen wissen: Was macht Sie wütend? Wann hassen Sie Ihren Beruf? Was machen Sie in zehn Jahren? Heute mit der Arboner Autorin Ruth Erat. An der Leipziger Buchmesse hat sie gerade ihr neues Buch «Zug nach Tatti» vorgestellt und sich geärgert über Grossauflagen für den Schredder.
Ruth Erat, 1951 in Herisau geboren, wuchs in Bern und Arbon auf. Heute lebt sie wieder in Arbon. Sie studierte Germanistik, Kunstgeschichte und Philosophie an der Universität Zürich. Viele Jahre war sie als Lehrerin und Dozentin tätig – seit 2016 widmet sich Ruth Erat ganz dem Schreiben und Moderieren von Literaturveranstaltungen. Zusammen mit der Freidorfer Autorin Andrea Gerster organisiert sie die jährlich im Juni stattfindenden Arboner Literaturtage.
Neben Prosa und Lyrik schreibt Ruth Erat auch Bühnentexte. Darüber hinaus ist sie künstlerisch tätig. Gerade war sie zur Leipziger Buchmesse 2023 eingeladen und las dort aus ihrem neuen, im Thurgauer Caracol-Verlag erschienenen Buch «Zug nach Tatti»; Erat erzählt darin von einer abenteuerlichen Reise in die Toskana und vom Verlust eines geliebten Menschen. In St.Gallen stellt sie «Zug nach Tatti» am Donnerstag, 4. Mai, im Open Art Museum vor. Neu erschienen ist dieser Tage auch das Gemeinschaftswerk «Überall Meere und Kontinente» von Ruth Erat, Gabriela Falkner und Beate Rudolph.
Ruth Erat erhielt sie neben dem Anerkennungspreis der St.Gallischen Kulturstiftung (1995) den Arbeiter-Literaturpreis (1990), den Buchpreis des Kantons Bern (2000) sowie 2021 den Hauptpreis der Akademie für das gesprochene Wort. 1999 las sie in Klagenfurt bei den Tagen der deutschsprachigen Literatur.
Wofür haben Sie in den letzten Monaten am meisten Zeit aufgewendet?
Ruth Erat: Vor allem für Literatur – von den Arbeiten für das Literaturhaus St. Gallen über die Vorbereitungen für die Literaturtage Arbon 2023 bis zu meinen eigenen Neuerscheinungen und deren Präsentationen. Ende April habe ich mein Buch «Zug nach Tatti» in Leipzig an der Buchmesse vorgestellt, am 5. Mai folgt nun die Premiere im Open Art Museum in St. Gallen. Zudem feiern wir, das Künstlerinnenkollektiv Ruth Erat, Gabriela Falkner und Beate Rudolph, unseren Kapitalband «Überall Meere und Kontinente» am 7. Mai in der Lukas Bar in St.Gallen.
Was hat Sie zuletzt wütend (oder traurig) gemacht?
Diese immer wieder feststellbare Aussichtslosigkeit, der Erde für unsere Enkel Sorge zu tragen!
Was hat Sie zuletzt glücklich gemacht?
Mein Enkel durfte mit der Primarschule an einer Bach-Woche teilnehmen. Als wir, wie immer am Anfang der Woche, beim Mittagessen zusammensassen, sang er. Und ich erlebte seine Kinderstimme – eine Hingabe, die mich tief berührte.
In welchen Momenten hassen Sie Ihren Beruf? Und warum sind Sie trotzdem dabeigeblieben?
Dieses hochkompetitive Tun, für das mit Mühe Geld für Publikationen und Vermittlung zu finden ist. Und diese narrenhäusigen Grossauflagen, die sich türmen und wieder im Schredder landen. Das ist alles schändlich und zehrt aus. Dennoch: Es gibt dieses grosse Glück der intensiven und konzentrierten Lesungen, die uns berühren und angehen, und die Freude, im Schreiben dazusein, zu fragen, weiterzudenken, zu formulieren, zu empfinden, zu staunen.
Welches Buch würden Sie nie weggeben und warum?
In meinen vielen Bücher fühle ich mich aufgehoben; es müssen viele sein, sehr viele, es muss ein Gespräch zwischen ihnen stattfinden. Am Ende kann man alles weggeben. Doch die Gedichte, denen ich immer wieder nachsinne, möchte ich mir bewahren, zumindest einige Zeilen von Friedrich Hölderlin, Friederike Mayröcker, Ingeborg Bachmann, Rose Ausländer – Lioba Happel…
Bei welcher Musik bekommen Sie Hühnerhaut und warum?
Vor allem bei Gesang. Etwa von Janis Joplin, ihre ohne Begleitung einsetzende Stimme. Oder Jessye Norman: ihre Interpretation der Kindertotenlieder von Gustav Mahler und Friedrich Rückert. Sie haben mich beim Sterben meines Mannes begleitet.
Heute in zehn Jahren …
... sind wir trotz allem menschlich geblieben, mitfühlend, liebend – hoffe ich.
Am 4.5., 19.30 Uhr, liest Ruth Erat auf Einladung des Literaturhauses Wyborada im Open Art Museum St.Gallen an der Davidstrasse. Im Gespräch mit Literaturhaus-Leiterin Anya Schutzbach berichtet sie von ihrem Schaffen; anschliessend gibt es einen Apéro. – 7.5., 11 Uhr, Lukas Bar St.Gallen: Buchtaufe des Bandes «Überall Meere und Kontinente».